Mord Im Garten Eden
geworden. In Ermangelung geeigneter Möglichkeiten, den Schmerz zu betäuben, hatte er schließlich allen Mut zusammengenommen und war zum Zahnarzt gegangen.
»Genau in der Mitte durchgebrochen«, verkündete der Kieferchirurg. »Der Zahn ist nicht mehr zu retten. Wir müssen ihn ziehen.«
Hartley kam zu dem Schluss, dass die Zahnschmerzen die Quittung dafür waren, dass er ständig mit seinem sagenhaften Glück herumgeprotzt hatte. Nun, falls nichts Schlimmeres nachkam - das hier war schon schlimm genug -, würde er damit leben können.
Wenn es nicht noch einmal passierte.
Das Gas entzog seiner Angst den Boden, aber Hartleys Herz raste noch immer, als der Chirurg die Instrumente zückte.
»Na, wie geht’s uns?«, fragte der Arzt.
Hartley dachte: Dir geht’s bestimmt gut, mir dagegen beschissen. Leider war er zu benebelt, um etwas sagen zu können.
»Mund auf«, sagte der Chirurg. »Es ist gleich vorbei.«
Hartley gelang es, den Mund zu öffnen.
Geschickt setzte der Zahnarzt die Zange an der Krone des Backenzahns an. Er schloss die Finger um die Griffe und hielt dann inne. »Was ist das?«, fragte er.
»Ahhhh«, antwortete Hartley.
»Ich höre etwas.« Dann: »Hören Sie etwas?«
»Ahhhh«, war Hartleys Antwort. Aber er hörte tatsächlich etwas. Das Klingeln im Kopf. Die Stimmen , wie immer. Aber wie konnte der Zahnarzt das hören?
»Ahhhhhhh«, antwortete Hartley und versuchte, lauter zu sprechen.
»Ich kann von dem, was Sie sagen, kein Wort verstehen.« Vorsichtig bewegte der Zahnarzt die Zange. Auf und ab, auf und ab, vor und zurück, vor und zurück, bis er hörte, wie die Wurzelhaut, die den Zahn im Zahnfleisch hielt, riss. »Sehr schön.«
Hartley hörte das Knirschen des Zahnes zusammen mit der Stimme. Wieder versuchte er zu sprechen, aber das Gas …
»Jetzt höre ich es wieder«, sagte der Chirurg. »Als würde jemand in Ihrem Kopf Radio spielen.«
»Ahhhhhhhhh«, versuchte Hartley zu schreien.
»Beruhigen Sie sich doch«, redete der Chirurg auf ihn ein, als er den Stickstoffanteil des Lachgases höher drehte. »Das haben Sie bis jetzt gut gemacht. Halten Sie noch ein bisschen durch. Es ist fast vorbei.«
Hartley spürte, wie die Stimmen schwächer wurden... er konnte sich nicht bewegen. Aber er konnte verdammt gut hören.
Der Chirurg lachte leise. »Wissen Sie, in den zahnärztlichen Fachzeitschriften liest man oft wirklich komische Sachen... über Funksignale, die durch Zahnfüllungen übertragen werden. Ich habe diesen Geschichten nie geglaubt. Aber vielleicht ist es ja genau das, was ich hier höre. Haben Sie so etwas schon einmal bei sich bemerkt?«
Hartley konnte nicht sprechen.
»Na also!«, sagte der Chirurg triumphierend. Er hielt einen blutigen Zahn in die Höhe. »Ich hab ihn.« Langsam drehte er den Stickstoff herunter. »Fertig. Mr. Hartley, ich habe Ihnen jetzt mehr Sauerstoff zum Atmen gegeben. In ein, zwei Minuten sollten Sie wieder vollkommen klar sein. Ich lasse Sie jetzt allein. Ruhen Sie sich aus.«
Die Tür schloss sich. Noch immer sagte Hartley nichts. Und was noch schlimmer war, er hörte nichts. Absolut nichts. Kein Klingeln, keine Stimmen, kein Geräusch.
Alles weg, weg, weg!
Verfluchte Nussschalen. Er hätte diese Dreckschweine verklagen sollen. Aber was hatte das jetzt noch für einen Sinn?
Alles dahin!
Kein Mr. Rasender Reporter mehr.
Kein Radar Robert Roadrunner mehr.
Kein Mr. Exklusivstory mehr.
Keine Partys und elitären Einladungen mehr.
Keine Pressekonferenzen mehr.
Kein eigenes Büro mit Tür mehr.
Alles komplett dahin.
Was blieb ihm jetzt noch? Nur ein Leben als gewöhnlicher Reporter. Und während ihm all diese Gedanken durch den Kopf gingen, wurde Hartley zunehmend niedergeschlagen. Sobald er körperlich dazu imstande war, streckte er die Hand zu den Gasflaschen aus, drehte den Sauerstoff auf fast null herunter und den Stickstoff voll auf.
Der gute alte Stickstoff.
Er hatte sich immer gewünscht, lachend zu sterben.
Mr. Bartons Problemfall
Diese Kurzgeschichte war ursprünglich für eine deutsche Anthologie von Kurzgeschichten geschrieben worden, die sich um das biblische Thema »Du sollst nicht töten« rankte. Ich hatte die wenig bekannte Geschichte von Bileam und Balak ausgewählt, und sie entwickelte sich zu einer modernen Fabel mit all der Ernsthaftigkeit der amerikanischen Fernsehserie »My Mother the Car« aus den sechziger Jahren, mit Jerry Van Dyke in der Hauptrolle. (Seltsamerweise konnte das Auto in jener Sitcom nicht
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