Mord Im Kloster
vor ihm.
Am Abend ging Henri mit den anderen Brüdern in das Refektorium. Hier wurde die zweite Tagesmahlzeit eingenommen. Die Brüder setzten sich an die langen Tische und erhielten die karge, aber wohlschmeckende Nahrung serviert. Sie aßen schweigend. Nur Blicke, die hin und her flogen, waren oft beredt. Der Vorleser saß in der Mitte des lang gestreckten Saales und las Abschnitte aus der Bibel vor.
Henri suchte Neville of Gwyn und sah ihn am Ende der Tafel. Robin Gilmour-Bryson nahm seit zwei Tagen nicht mehr an den Mahlzeiten teil. Henri hatte gehört, er hielt sich in Fickettscroft auf, wo das Übungsfeld des Tempels für Reiter und Ordensbrüder lag, die ihre neuen Waffen ausprobierten. Musste er nicht wegen des Verdachts, den Neville gegen ihn hegte, angehört werden? Henri wusste, dass die Selbstjustiz des Tempels immer schnell reagierte. Ein Verdächtiger konnte sofort auf Wasser und Brot gesetzt, oder sein Habit konnte ihm für eine gewisse Zeit entzogen werden, im schlimmsten Fall wurde er ins Heilige Land ausgewiesen.
Henri gab das Grübeln darüber schnell auf, es war nicht seine Angelegenheit. Vielleicht saß Bruder Robin ja auch schon in der Bußzelle des Tempels.
Henri aß mit dem Messer das klein geschnittene Fleisch und brach das mit Anis gewürzte Brot. Das Dünnbier schmeckte ihm nicht. Verstohlen blickte er sich weiter um. Auch der Präzeptor war an diesem Abend nicht abkömmlich, er war zu einem Kapitel gerufen worden, dem er auch als geweihter Priester vorstand. Durchreisende als Gäste des Tempels waren nicht zu sehen. Der Bruder Gautier, Provinzialmeister aus Irland, hatte sich erst für den morgigen Tag angekündigt.
Nach dem Essen schloss sich Henri der Gruppe von Brüdern an, die wie jeden Abend auf dem Hof des Tempelbezirks Speisereste an bedürftige Arme verteilten. Heute waren besonders viele Kranke darunter. Dann ging er in seine Klause. Er absolvierte dort allein das Stundengebet mit Psalm und Vaterunser. Den Rest des Abends verbrachte Henri mit seinen Studien. Zwar ging ihm die Begegnung in der Kirche nicht mehr aus dem Sinn, aber er schaffte es, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren.
Er hatte sich die Unterlagen besorgt, die über die Abtei St. Albans Auskunft gaben. Er wusste bereits, das der Name des Klosters auf einen römischen Soldaten zurückging, der im Jahr 303 zum Märtyrer geworden war, weil er dem Priester, der ihn bekehrt hatte, Unterschlupf bot. Später hatte König Offa von Mercia an der Stelle das Kloster gegründet. Heute war es so mächtig und reich, dass die Benediktiner in jedem Jahr auffällig hohe Responsiones, Abgaben für die Aufgaben im Heiligen Land, zahlten. Doch kamen sie dort auch wirklich an? Und wer rief sie ab und für welche Verpflichtungen? Henri konnte sich einfach keinen geeigneten Empfänger im Heiligen Land vorstellen.
Henri wusste genau, dass Papst Nikolaus der Vierte noch im Jahr des Zusammenbruchs 1291 eine Bulle geschrieben hatte, die den Klöstern des Abendlandes diese Abgaben auferlegte. Aber sie durften ein Zehntel der Einkünfte nicht überschreiten. St. Albans zahlte aber regelmäßig ein Drittel, wenngleich nicht ausschließlich in Geld, sondern auch in Gütern. Der Tempel hingegen war immer bemüht gewesen, auf Messen und Märkten so viele Rechte wie möglich zu erwerben und vor allem diese Einkünfte in Geld zu verwandeln. So ließ sich der eigene Besitz überschauen. Und auf die eigenen Banken übertragen. Henri hatte selbst viel dafür getan, dass diese Transaktionen funktionierten.
St. Albans war so eine Zufluchtsstätte für Personen wie auch für Güter. Nichts ist sicherer, dachte Henri zufrieden, als ein Gott geweihtes Haus – für Menschen, aber auch für Wertgegenstände. Jedes Kloster war ein Tresor. Vor allem der Tempel von London. Hier lagen inzwischen auch die Kronjuwelen. Aber in St. Albans geschah offenbar etwas Beunruhigendes. Dort flossen Geld und Güter ab, ohne dass gewiss war, ob sie irgendwo ankamen. Im Heiligen Land, das den Christen nicht mehr gehörte, gewiss nicht.
Es war nicht Henris Aufgabe, die Finanzpolitik der Benediktiner zu kontrollieren. Aber er wusste, wenn im Tempel etwas Ähnliches passierte, dann würde man ihn in aller Schärfe verantwortlich machen. Im mächtigen St. Albans stimmte irgendetwas ganz und gar nicht. Hatte der sorgenvolle Brief des Abtes mit diesen Dingen zu tun?
Henri schloss die Akten. Am Sonntag würde er sicher erfahren, ob dort alles mit rechten Dingen
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