Mord Im Kloster
gerochen. Robin Gilmour-Bryson!
Sie schauderte bei seiner Stimme. »Jetzt werden wir es einmal spielen, meine Süße! Es ist ein so schönes Spiel! Und es wird dir schon gefallen!«
Jenny stöhnte auf.
Im gleichen Moment ertönte ein dumpfes Poltern. Es kam vom Hauseingang her. Jemand rüttelte an der Tür. Ein heftiges Klopfen. Direkt vor ihr stieß der Eindringling, dessen Atem sie spürte, einen Fluch aus. Jenny wusste genau, wen sie vor sich hatte. Sie duckte sich. Die Gestalt rannte an ihr vorbei. Der Stoß, der sie vor die Brust traf, warf sie gegen die Türfüllung zum Flur, dann stürzte sie zu Boden. Der Eindringling sprang davon, sie nahm ihn jetzt als unförmiges Bündel aus Kleidung, Körperformen und Schweißgeruch wahr; er lief über den Gang nach rechts und verschwand durch die Tür zum Hinterausgang. Holz schepperte. Dann ein Klirren.
Wieder heftiges Klopfen am anderen Eingang. Dann rief jemand. Jenny war noch ganz benommen und spürte einen stechenden Schmerz in der Seite. Jetzt erkannte sie die Stimme von Henri de Roslin.
»Master Henri!« Sie schrie den Namen. Noch nie hatte sie sich so erleichtert gefühlt.
Sie hastete zur Eingangstür, schob den Querbalken mit fliegenden Händen zurück und riss die Tür auf. Henri de Roslin starrte sie besorgt an. »Was ist mit Euch? Ihr seid ja kalkweiß!«
Jenny konnte nicht antworten. Die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Sie schluckte trocken und machte nur eine einladende Geste. Als Henri eingetreten war, schloss sie schnell die Tür.
»Bei Gott! Ihr kommt im letzten Moment!« Sie zog Henri nach hinten. Die Tür zum kleinen Gemüsegarten stand offen. Das Glas des kopfgroßen Fensterchens war zersplittert, der Eindringling hatte es zerschlagen und dann die innere Klinke heruntergedrückt. Da Jenny nichts davon gehört hatte, musste der Fremde schon mindestens eine Stunde im Haus gewesen sein, so lange hatte sie dagesessen und gestickt.
Der Gedanke machte ihr weiche Knie. Sie hatte eine geschlagene Stunde mit dem Eindringling im gleichen Haus verbracht, der ihr Böses antun wollte. Er musste sie die ganze Zeit über beobachtet haben.
Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie konnte nicht anders, sie musste ihren Kopf gegen die Brust Henris legen.
»Wer war es?«, sagte Henri. »Habt Ihr den Eindringling erkannt?«
Jenny nickte. Und dann sagte sie es ihm.
6
St. Albans 1300, die Verschwörung
Henri de Roslin genoss die verordnete Langsamkeit an diesem Ort. Über roh zugehauene Stufenblöcke aus Basalt gelangte er zu einer eisenbeschlagenen Holzpforte. Er musste Schritt für Schritt emporsteigen, als gelte es, jede hohe Stufe auf ihre Festigkeit und Verankerung in der Ewigkeit zu prüfen, und er musste unter der Pforte den Kopf einziehen. Auch seine Schultern waren breiter als der Durchgang, so hätte jede hastige Bewegung zur Folge gehabt, dass er gegen Mauern stieß. Er öffnete mit ruhiger Hand die Pforte. Dahinter lag in fast völliger Dunkelheit der Gang, der in das Dormitorium der Laien führte.
Henri hatte sich im Gästehaus des Klosters aus alten römischen Ziegeln einquartiert. In der Zeit des abtlosen Übergangs von einer Ära in die andere musste dafür Prior John de Maryns die Erlaubnis erteilen. Henri hatte sich eine Zeit gesetzt. Wenn er nicht innerhalb von sieben Tagen auf wichtige Spuren gestoßen war, die ihn zum Mörder von Abt Thomas führten, würde er die Ermittlung abbrechen.
Das Erste, was ihm in St. Albans auffiel, waren die Haufen von Schuhen. Auch hier im Laienrefektorium lagen sie. Niemand wollte darüber sprechen. Es war ein seltsames Bild. Wenn man durch die sauberen Gänge dieses weißen Klosters mit den roten Sandsteinrahmen der Fenster und Türen ging, stieß man plötzlich auf diese Berge aus Schuhen, Sandalen und Stiefeln. Einer der Mönche hatte gesagt, Henri solle zu den Laien gehen, die könnten darüber sprechen. Und nur dort könne er auch nach dem Mörder des Abtes suchen.
Das Zweite, was Henri aufgefallen war, hatte mit seiner Spurensuche nichts zu tun. In St. Albans war nichts zu hören außer Vogelstimmen. Genauer gesagt: Das Singen der Vögel übertönte jedes andere Geräusch. Selbst das Abladen von Weinfässern aus einem deutschen Kloster am Rhein, die am Morgen angekommen waren, verursachte weniger Geräusch.
Henri war nach seiner Ankunft die leicht abschüssige Konversengasse zwischen dem Bibliotheksbau und dem Laienrefektorium hinuntergegangen. Die Häuser standen auf roten
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