Mord Im Kloster
sie könnten etwas mit dem Tod des Abtes zu tun haben?«
»Ich will gar nichts sagen. Und jetzt lasst mich zu meinen Brüdern zurückgehen. Ich mache mich ja verdächtig.«
Jeremy ließ Henri kurzerhand stehen. Henri begriff, dass er seinen Brüdern damit Eindruck machen wollte. Warum war man in St. Albans verdächtig, wenn man mit einem Klosterfremden sprach?
Henri ging nachdenklich hinaus. Er musste das Gehörte verarbeiten. Draußen schien die helle Sonne. Im ausgedehnten Gartenbereich lag viel geschlagenes Holz, im Hintergrund sprudelte ein Springbrunnen. Ein Hase flüchtete ins Gebüsch.
Henri blickte in die Widersprüche dieses Klosters, in Schönheit und Fremdheit, Offenkundigkeit und Geheimnis, er konnte sich noch kein Bild machen. Und doch war durch die Worte Bruder Jeremys in ihm ein Verdacht entstanden, dem er nachgehen wollte.
Am meisten machte es ihm Sorgen, dass angeblich Robin Gilmour-Bryson in St. Albans eine Rolle spielte. Henri war es Leid, immer wieder auf diese unselige Person zu stoßen. Wenn es stimmte, hatte er in London sogar versucht, Jenny Sandys zu belästigen. Vielleicht täuschte sich Jenny auch, und ein ganz anderer war in ihr Haus eingedrungen. Aber allein die Tatsache, dass jemand die geheime Wohnung der Sandys ausspioniert hatte, löste ein Frösteln in Henri aus.
Er hatte jetzt erneut dafür gesorgt, dass die Sandys umzogen. Diesmal gab es keine Zeugen, da war er sich sicher.
Henri umrundete einmal ganz den inneren Klosterbezirk. Er war beeindruckt von der Größe der Anlage. Er suchte nach einem Ansatzpunkt, um seine Ermittlungen schlüssig weiterzuführen. Er musste unbedingt mit einem der Benediktiner sprechen. Am besten mit dem Prior.
Schneller als erhofft ergab sich dafür eine Gelegenheit. Als Henri gerade in seiner Zelle angekommen war, klopfte es draußen. Der Prior trat in den kleinen, quadratischen Raum ein, der stets unverschlossen sein musste. Henri blickte den hageren, noch jung scheinenden Mann mit der Halbglatze neugierig an. Er bat ihn, auf dem einzigen Schemel Platz zu nehmen, Henri selbst blieb an die Wand gelehnt stehen.
Prior John de Maryns machte einen besonnenen Eindruck. »Ich habe es mir überlegt«, sagte er, »auch auf die Gefahr hin, das Andenken des Toten zu beschädigen – es muss gesagt werden.«
Henri nickte und wartete. Von draußen drangen die Vogelstimmen des Gartens herein.
Der Prior wischte sich über die Augen, als könne er ein lästiges Bild verscheuchen. »Abt Thomas hatte Feinde, aber besonders einen Feind. Das war er selbst. Er war mit sich nicht im Reinen. Er liebte das Leben zu sehr, vor allem die Aspekte des Lebens, von denen sich ein Geistlicher tunlichst fern halten sollte.«
»Könnt Ihr deutlicher werden, Prior?«
»St. Albans besteht nicht nur aus dem Kloster, das habt Ihr sicher schon gemerkt. In der Stadt gibt es auch eine Burg; der Burgherr, Fürst Edmonton, ist sehr mächtig. Und wenn sich jemand seinen Hass zuzieht, dann sind seine ruhigen Tage gezählt.«
»Ihr wollt sagen, Fürst Edmonton könnte etwas mit dem Mord an Abt Thomas zu tun haben?«
»Der Fürst selbst sicher nicht. Aber indirekt schon. Er wird seine Leute ausgeschickt haben.«
»Gut. Eins nach dem anderen, Prior. Ich habe hier in diesem Kloster die Langsamkeit gelernt. Also der Reihe nach. Welchen Grund könnte der Burgherr von St. Albans, Fürst Edmonton, haben, den Abt des Benediktinerklosters von St. Albans aus dem Weg zu räumen?«
Der Prior sah unglücklich aus. »Abt Thomas hatte eine Affäre mit der Tochter des Fürsten.«
Ungläubig blickte Henri sein Gegenüber an. »Eine Liebesaffäre? Oder was meint Ihr?«
»Ja.«
Henri fielen in diesem Augenblick die Worte des Abtvaters Thomas in Southwark ein. Wie hatte er sich ausgedrückt? Henri versuchte, sich zu erinnern. Nach seinem Besuch war ihm ein Satz nicht mehr aus dem Kopf gegangen, den der Alte gesagt hatte. Er war ihm wie ein Schlüssel vorgekommen, den er damals noch nicht zu gebrauchen gewusst hatte. Der Satz hatte gelautet: Manche sagen, er sei in das Leben verguckt gewesen, er liebte die tausend Kleinigkeiten der Schöpfung, mein Thomas war ein Vernarrter.
War es das, wovon jetzt auch der Prior sprach?
»Erzählt mir mehr, Prior.«
»Burgherr Edmonton besitzt eine reizende Tochter. Sie heißt Alissa. Jeder Mann im Umkreis von hundert Meilen ist hinter ihr her. Und man erzählt nun, sie habe sich in die starken Arme des Abtes geflüchtet, weil sie es nicht mehr aushielt, dass
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