Mord Im Kloster
Gewohnheitsrecht, ein Common Law! Und Eure Drohungen sind ein rostiges Schwert, das niemanden erschreckt.«
»Egal! Alles wird so gemacht, wie ich es will. Manchmal braucht man eben keine Armee, um ein Land zu erobern. Manchmal reicht das Genie von ein paar Leuten.«
»Eher deren Amoralität.«
»Nennt es, wie Ihr wollt, keuscher Templer, hahaha!«
»Ihr seid größenwahnsinnig! Ihr nennt Euch Stapelherr. Wisst Ihr nicht, dass niemand sich so nennen darf? Das Stapelrecht ist an einen Ort gebunden, dort darf es jemand ausüben. Aber es ist kein Titel, den man mit sich herumtragen kann wie einen Mantel.«
»Das habt Ihr gut auswendig gelernt. Hat der Prior es Euch eingebläut? Er hat es mir auch erzählt. Die Wahrheit ist – wo ich bin, ist mein Recht. Mein Stapelrecht, mein Handelsrecht, mein Gerichtshof. Ich trage alle diese Titel mit mir, und ich übe alle diese Rechte dort aus, wo ich mich gerade befinde.«
»Wenigstens sprecht Ihr offen, Javierre. Ich weiß jetzt also, woran ich mit Euch bin. Und ich sage Euch, Ihr kommt nicht durch mit dieser Sache. Ich lege Euch das Handwerk.«
»Versucht es.«
»Wir sind Todfeinde. Ich werde Euch an den Pranger stellen.«
»Und ich töte Euch, wenn Ihr zu weit geht.«
»Auf diesem Boden ist nur für einen von uns Platz. Ich gebe Euch zwei Tage, St. Albans zu verlassen. Dann lege ich Euch in Ketten und schleife Euch persönlich nach London, wo der Gerichtstag vor St. Paul Euch aburteilt.«
Doch Javierre lachte nur.
Noch am selben Abend traf sich Henri mit Neville. Er berichtete von seinem Gespräch mit Javierre. Neville de Gwyn sah ihn an, als habe er einen Narren vor sich.
»Das kann ich kaum glauben, Henri. Warum sollte der Normanne so offen zu dir reden? Er liefert sich dir damit doch aus!«
»Das kann er nur, wenn er ganz genau weiß, dass ihm nichts passieren kann. Ebendies macht mir Sorgen.«
»Du meinst also, es stimmt, was er behauptet?«
»Ich befürchte es.«
»Unsinn. Der Mann macht sich doch nur wichtig. Wo sind die Beweise? Ich habe soeben vom Prior erfahren, dass Bruder Gautier, der Provinzialmeister von Irland, von ganz anderen Dingen berichtet hat. Man hat in Dublin normannische Kaufleute verhaftet, die mit falschen Gewichten betrogen. Man hat sie noch am gleichen Tag gehenkt. Wo also soll sie sein, die normannische Vorherrschaft?«
»Irland ist weit. Bis dorthin sind sie vielleicht noch nicht vorgedrungen mit ihren Plänen. Neville! Nimm die Sache ernst! Ich spüre, dass ein großes Unheil auf uns zuzieht.«
»Der Tempel soll fallen, wie? Das ist doch völlig lächerlich! Der größte und mächtigste geistliche Ritterorden des Abendlandes! Der Tempel ist in Frankreich die größte Macht. Selbst der König zittert vor dieser Macht.«
Henri sagte leise: »Vielleicht ist dies das wirkliche Problem.«
»Wie meinst du das?«
»Wie ich es sage. Denk darüber nach.«
»Noch einmal: Unsinn! Je mächtiger wir sind, desto unangreifbarer! Wie sollte das gehen? Selbst wenn ein unzuverlässiger John Sandys das Mauerwerk der Temple Church bröckeln lässt – mein Gott! Das sind doch nur kleine Gesten, das hat doch überhaupt keine Wirkung! Der Tempel ist auf anderen Grundfesten gebaut als auf Sand und Mörtel. Ich frage mich, warum du das vergessen hast, Henri de Roslin.«
»Ich habe es nicht vergessen. Aber ich bin in Sorge. Und ich erreiche dich einfach nicht, Neville. Das ist traurig. Bisher haben wir immer alle Bedenken geteilt.«
»Ach, ich habe es satt, jeden Tag von neuen Hiobsbotschaften zu hören. Womit beschäftigen wir uns eigentlich? Warum verbringen wir unsere Zeit nicht mit den Dingen, die zu unseren Pflichten gehören? Arbeiten, beten, kämpfen, uns für die großen Aufgaben unserer Zeit rüsten.«
Henri blickte den Freund an. »Ich will nicht streiten. Aber mir scheint, die Zeit zerreißt uns.«
»Ja, das tut sie.«
John Sandys war es jetzt gleich. In seiner Verzweiflung hatte er sogar mit Jenny gestritten. Sie war davongelaufen. Er war seitdem in einer Stimmung des Untergangs. Was hatte jetzt bloß noch Sinn? Jenny war sein letzter Halt. Wenn sie ging, dann würde er all die Dinge tun, vor denen er sich noch fürchtete. Dann gab es kein Halten mehr.
Als er morgens zum Tempel ging, regnete es. Durchnässt erreichte er den Tempelbezirk. Menschen hasteten hin und her, um der kalten Feuchtigkeit zu entgehen. Der Steinmetz schüttelte sich wie ein Hund, lüftete den Umhang und stieg die Leitern zu seinem Arbeitsplatz in
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