Mord Im Kloster
luftiger Höhe empor.
Oben war noch niemand. Auf den Gerüsten lag der Steinstaub vom abgeschlagenen Mörtel. Und der Kopf eines Dämonenabweisers, den er neu befestigen musste, glotzte ihn an.
John Sandys blickte sich um. Und wenn er es doch täte? Mit einem Schlag wären alle seine Probleme beseitigt. Er konnte mit Jenny wegziehen. Er hätte genug Geld in der Tasche, um sich irgendwo anders niederzulassen. Gute Steinmetze wurden jetzt überall im Land von neu entstehenden Bauhütten gesucht, seit die hochfliegenden Kathedralen gebaut wurden.
Was gingen ihn die Templer an? Ein paar Menschenleben mehr oder weniger!
John erschrak über diesen Gedanken. Warum gelang es ihm einfach nicht, solche hässlichen Gedanken zu verhindern? War er grundschlecht? Die Tempelritter waren immer anständig zu ihm gewesen. Er hatte nichts gegen sie einzuwenden. Aber wenn der Tempelorden noch seinen heiligen Krieg führen würde, wenn die Glaubenskämpfe im Morgenland noch im Gange wären, würden dann nicht jeden Tag viel mehr Menschen sterben? Viel grausamer?
Und wäre dieses Sterben sinnvoller?
Tod ist Tod, dachte John. Und fasste seinen Entschluss.
»Henri, Ihr müsst in den Tempel nach London zurückkehren! Ich beschwöre Euch! Es gibt ein Unglück!«
Henri fuhr zusammen. Mit dieser Stimme hatte er nicht gerechnet. In der Eingangstür zum Kloster stand eine zitternde Jenny Sandys und blickte ihn flehend an.
Henri zog die junge Frau am Arm in die Zelle. »Wie kommt Ihr hierher? Setzt Euch. Erzählt in aller Ruhe.«
Jenny strich sich mit einer fahrigen Geste das Haar aus dem Gesicht. »Ich bin in einer Kutsche gekommen. Es geht um John. Er hat sich in den letzten Tagen verändert. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Er redet von dem entscheidenden Attentat. Ich dachte, er hätte diesen unsinnigen Plan, die Templerkirche zu beschädigen, vergessen. Aber jetzt spricht er davon, dass er eine Lösung für alle unsere Probleme gefunden hat. Und ich habe ihn beobachtet, wie er sich mit Robin Gilmour-Bryson traf.«
»Wo?«
»In Stepney, an den Docks. Warum trifft er sich mit diesem Kerl, der mir nachstellt? Es ist eine unerträgliche Vorstellung für mich, dass die beiden unter einer Decke stecken! Hat John ihn in unser Haus gelockt? Hat John mich an ihn verkauft? Ach, ich weiß nicht mehr weiter, ich vertraue John nicht mehr! Er ist mir ein Fremder geworden.«
»Bildet Ihr Euch das nicht nur ein, Jenny?«, fragte Henri beschwichtigend. »Warum sollte John Euch an Robin verkaufen?«
»Aber ich habe doch mit eigenen Augen gesehen, wie sie die Köpfe zusammensteckten wie alte Bekannte und miteinander tuschelten!« Jenny schrie es fast.
»Beruhigt Euch. Ich glaube Euch ja. Wenn es mir auch schwer fällt.«
»Geht nach London zurück. Nicht wegen John, wegen des Tempels. Ihr müsst Eure Brüder schützen. Etwas Furchtbares bahnt sich dort an.«
Henri überlegte. »Das werde ich wohl wirklich tun müssen. Ich muss mit dem Präzeptor sprechen. Und wir müssen John die Arbeitserlaubnis entziehen. Wenn es sich so verhält, wie Ihr sagt, Jenny, dann darf er seinen Fuß nicht mehr in den Tempel setzen. Aber was das für Euch bedeutet, wenn er seine Arbeit verliert, das wisst Ihr selbst.«
»Ich weiß es. Und dass ich trotzdem zu Euch komme und Euch alles erzähle, das beweist doch, wie ernst es mir ist.«
»Das tut es. Und ich danke Euch. Ich werde Neville de Gwyn bitten, in St. Albans zu bleiben. Hier sind drei Morde geschehen. Irgendjemand muss sie aufklären.«
»Mein Gott, wie furchtbar! Wodurch kommt diese Gewalt in die Welt? Ist denn alles in Auflösung?«
Jennys Warnung hatte Henri aufgerüttelt. Er begriff, dass er nun in London unabkömmlich war. Auch er traute dem verzweifelten Steinmetz John Sandys unter diesen Umständen Dinge zu, die er unbedingt verhindern musste. Er musste John vor sich selbst schützen.
Er besprach alles mit Neville. Der war einverstanden.
»Kehrt Ihr mit mir nach London zurück?«, fragte Henri Jenny. »Ihr könnt natürlich auch hier im Kloster bleiben. Vielleicht seid Ihr in der Obhut der Benediktiner sogar sicherer.«
»Obwohl an diesem unseligen Ort drei Morde geschehen sind?«, wollte Jenny wissen.
»Ich weiß, es klingt unglaubwürdig. Aber wer schützt Euch in London?«
»Wenn es denn anscheinend keinen Ort mehr auf der Welt gibt«, sagte Jenny tapfer, »der sicher ist, dann muss ich mich eben selbst schützen.«
Henri beschloss insgeheim, die junge Frau unter seine
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