Mord Im Kloster
damit beschäftigen.
Der Sheriff von St. Albans hatte schon abgewinkt. Denn im Moment schien mehr in Unordnung geraten zu sein als nur das Kloster St. Albans. Es war so weit gekommen, dass ein gewöhnlicher Mord nicht mehr untersucht wurde. Die normannische Herrschaft in England wurde umgekrempelt.
Henri erfuhr gerade an diesem Tag den Grund dafür. König Edward hatte erlassen, dass in Stadt und Land überkommenes Gewohnheitsrecht jetzt schriftlich, in einer förmlichen Sammlung beurkundeter Rechtssätze, gesammelt werden sollte. Das uralte Common Law wurde in Papierparagraphen gefasst. Der König ordnete eine landesweite Untersuchung an mit dem Ziel, Informationen über den adligen Besitzstand an verbrieften Vorrechten zu erhalten, Usurpationen von Königsgut und Rechten und Pflichtverletzungen königlicher Amtsträger auf lokaler Ebene aufzudecken, denn es lag ihm daran, die Macht der Feudalherren in die Macht der Krone umzuwandeln. Jetzt zogen ganze Heere königlicher Beamter in Kutschen umher und schnüffelten in allen Verhältnissen. Überall war etwas aufzudecken. Die Mönche im Kloster St. Albans, – ohnehin verschreckt und schuldbewusst –, wurden noch misstrauischer und schweigsamer.
Und plötzlich wurde bekannt, dass ein königlicher Amtsträger in einem Dorf der unmittelbaren Nachbarschaft des Klosters einen Jungen damit beauftragt hatte, durch den Ort zu laufen und immer wieder laute Schimpfworte gegen die Bewohner zu rufen. Die Einwohner wurden dadurch so in Wut versetzt, dass sie den Jungen schließlich mit Pfeil und Bogen töteten, was der Sheriff zum Anlass nehmen konnte, dem gesamten Ort eine schwere Geldbuße zugunsten der königlichen Kammer aufzuerlegen.
Henri begriff mit einem Schlag, dass es nur darum ging! Dass nämlich die Kassen des englischen Königs gefüllt werden sollten! Reichte es nicht, dass der König erst vor wenigen Jahren vom Parlament die Erlaubnis bekommen hatte, einen Great Custom, einen Dauerzoll, auf die Wollausfuhr zu erheben? Die Geldnot war größer als angenommen. Der Krieg gegen Wales war teuer. Der bevorstehende Krieg gegen Frankreich noch teurer. Schottland war in Aufruhr. Waren dies die Hintergründe, die in St. Albans in kurzer Zeit zu drei Morden geführt hatten? Waren jetzt die Strafforderungen des Königshauses zu erwarten? Würde man das Kloster gar enteignen und alles Geld einziehen, um neue Waffen zu kaufen?
Als Henri an diesem Morgen Javierre de Bastard begegnete, kam ihm plötzlich dieser Gedanke. Aber wie war es möglich, dass der normannische Unternehmer in dieser Situation Fuß fassen konnte? Wer unterstützte ihn? Henri nahm sich vor, den Normannen, der ihm offensichtlich auswich, entschieden zu befragen. Er musste ihm jetzt Antworten geben. Er suchte ihn, fand ihn in der Prälatur und stellte ihn zur Rede.
Der Edelmann bestand darauf, in seiner Heimatsprache zu sprechen. Weil Henri neben Französisch und Provencalisch auch Bretonisch beherrschte, konnten sie sich verständigen.
»Warum wollt Ihr nicht Englisch reden?«, fragte Henri ihn. »Wir sind auf englischem Boden.«
»Weil hier bald überall nur noch Normannisch geredet wird, wie es die Edelleute schon tun – bis hinauf nach Midlothian«, erwiderte Javierre de Bastard und strich sich selbstgefällig das schüttere farblos-blonde Haar aus der Stirn.
Henri war es recht, dass sie gleich zur Sache kommen konnten – denn lag nicht eine unverhohlene Drohung in den Worten des Stapelherrn?
»Verratet mir: Welche Interessen verfolgt Ihr in St. Albans?«
»Das will ich Euch sagen. Ich weiß ja, Ihr werdet dieses Geheimnis bewahren. Ich will die Abtei. Und ich will sie ganz für mich allein. Denn ich will in alle Geschäfte zwischen Caen und London einsteigen. Und ich habe Auftraggeber, die diesen Plan decken, denn das ist der Preis, den sie zahlen, damit ich ihren Plan erfülle. Deshalb kann ich mich völlig ungeniert bewegen. Wollt Ihr wissen, wer meine Auftraggeber sind?«
»Liebend gern, mein Herr.«
»Es sind Eure eigenen Dienstherren, König Philipp der Schöne und Papst Clemens. Ihr staunt? Es ist nicht staunenswert. Denn wir sind hier zwar in England, aber das Land gehört uns eigentlich schon seit der normannischen Eroberung. Ihr habt inzwischen englische Gesetze eingeführt, aber wir arbeiten schon eine Weile daran, dass es uns bald wieder ganz offiziell gehört.«
»Der Abt Thomas musste sterben, weil er von einer Verschwörung gegen den Tempel wusste. Was denkt Ihr
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