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Mord im Nord

Mord im Nord

Titel: Mord im Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Giger
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ob natürlichen oder künstlichen Ursprungs, so etwas wie positive und erwünschte Veränderungen des menschlichen Bewusstseins herbeiführen lassen.
    Zwischenrein hatte Claudia etwas zu essen und eine dritte Flasche Wein bestellt. Aus den Augenwinkeln heraus nahm ich wahr, dass sie dabei dem Kellner verschwörerisch zuzwinkerte, mass dem jedoch keine Bedeutung bei, zumal sie jetzt begann, mich mit geschickten Fragen zu meinem Projekt über Appenzeller Räusche aus der Reserve zu locken. Glücklich darüber, eine so gute Zuhörerin gefunden zu haben, begann ich darüber zu dozieren, warum das Appenzellerland ein guter Nährboden für Räusche, also für veränderte Bewusstseinszustände, ist. Das Silvesterchlausen ist ein gutes Beispiel dafür. Am Silvestertag verkleiden sich gestandene Männer, hüllen sich teils in Frauenkleider mit prächtigen Hutgebilden, teils aber auch in Fichtenzweige und wüste Masken, und ziehen so von Hof zu Hof. Unter der Maske, so erklären sie übereinstimmend, fühle man sich in eine andere Welt, in eine andere Identität, versetzt – klassischer Fall von Bewusstseinsveränderung.
    Oder die innerrhodische Tradition des Gesundbetens. Das läuft zwar alles völlig im Verborgenen ab, doch weiss man, dass dabei bestimmte Sprüche, aber auch mannigfaltiges Räucherwerk eine wichtige Rolle spielen – klassischer Fall von Heilen durch Bewusstseinsveränderung.
    Claudia lachte herzlich und verblüffte mich ein weiteres Mal mit ihrem Wissen. Sie ergänzte meine Ausführungen über das Silvesterchlausen mit dem Hinweis darauf, dass dieses zweimal stattfinde, nämlich einmal am gewohnten Silvestertermin vom 31.   Dezember, aber auch ein zweites Mal am 13.   Januar, dem sogenannten alten Silvester. Sie wusste, dass dies tatsächlich der Silvestertermin im alten julianischen Kalender gewesen war, der dann von Papst Gregor reformiert wurde. Da die streng reformierten Ausserrhödler sich von einem katholischen Papst nichts sagen lassen wollten, und schon gar in Sachen Kalender, hielten sie noch lange am alten System fest.
    Auf meine Frage hin, woher sie so gut Bescheid wisse, schilderte mir Claudia ihre appenzellischen Wurzeln, die zwar schon lange Zeit zurücklägen, aber eben doch nie ganz gekappt worden seien.
    Noch eine Verbindung also! Diese Entdeckung führte zusammen mit der jetzt schon deutlich spürbaren euphorisierenden Wirkung der dritten Flasche Wein dazu, dass ich mich in der kleinen Pause, die entstand, weil sie mal kurz für kleine Mädchen musste, ernsthaft fragte, ob ich dabei sei, mich in diese Zufallsbekanntschaft zu verlieben. Bevor ich mir selbst eine Antwort geben konnte, kam sie zurück.
    Auch sie, gestand sie, sei schon ein bisschen beschwipst, doch fühle sich das sehr angenehm an, was ich nur bestätigen konnte. So kamen wir darauf, dass auch Alkohol ein guter Rauscherzeuger sein kann, der einzige notabene, der in unserer Kultur voll akzeptiert ist. Wir sprachen über die seltsame Schizophrenie einer Gesellschaft, welche die einen Substanzen akzeptiert und die anderen tabuisiert, ohne dass es erkennbare rationale Gründe für diese scharfe Trennungslinie gäbe.
    Auch die Pharmaindustrie leide übrigens unter diesem Phänomen, teilte sie mir dann mit. Indem sie sich verschwörerisch zu mir herüberbeugte und ihre Stimme zu einem kaum noch vernehmbaren Raunen senkte, unterstrich sie, dass sie mir jetzt Vertrauliches sagen würde. Was mir, um ehrlich zu sein, natürlich schmeichelte.
    Das Ganze lief darauf hinaus, dass die Pharmaindustrie längst an dem arbeite, was man etwas plump als Glückspille bezeichnen könnte. Dabei ginge es nicht wirklich um Glück, das sei bekanntlich ein philosophisch zu komplexes Phänomen, sondern einfach darum, bestimmte Gemütszustände wie Entspanntheit, Gelassenheit und Souveränität zu fördern. Man sei schon ziemlich weit, doch die Pharmaindustrie habe echte Angst vor der Markteinführung, weil man eine Verteufelung solcher Pillen als Psychodrogen fürchte. Und damit das Image eines staatlich anerkannten Drogenhändlers. Dabei sei offensichtlich, dass eine Welt, in der sich mehr entspannte, gelassene und souveräne Menschen bewegen, eine bessere sein müsse, ganz egal, auf welchem Weg sie zu ihrer Gemütsverfassung gekommen sind.
    Damit rannte sie bei mir offene Türen ein. Du erinnerst Dich sicher an unsere Diskussionen über chemisch induzierte Weltverbesserung im Rahmen unseres ‹Geheimbunds›. Ich habe mich damals bewusst

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