Mord im Nord
geradezu an. Sie wolle die dortige Ausstellung mit Werken von Hans Krüsi ohnehin noch sehen. Dann verschwand sie mit einem umwerfenden Lächeln in die Nacht, und ich ging in mein Hotel.
Wie meistens in Hotels schlief ich schlecht. Erst da fiel mir auf, was ich angerichtet hatte. Ach was, eine so sympathische Frau wird schon nichts Krummes mit diesem Geheimnis anfangen, tröstete ich mich. Und als ich mich an ihren Abschiedskuss erinnerte, glaubte ich sogar daran.
Wahrscheinlich kennst Du Hans Krüsi, aber sicherheitshalber fasse ich noch mal zusammen: Er war ein ursprünglich aus dem Appenzellerland stammender Künstler, der sein Brot in Zürich zunächst mit dem Strassenverkauf von Blumen verdiente, ehe er merkte, dass sich seine oft auf Servietten und Ähnliches gemalten Bilder und sonstigen Kunstwerke besser verkauften als Blumen. So wurde er, der ungebildete Autodidakt, zu einer wichtigen Figur der Art Brut, die jetzt mit einer Gesamtausstellung gewürdigt wird. Das Appenzellerhaus in Zürich wollte ich sowieso schon lange mal besichtigen. Ich weiss noch nicht lange, dass es dies gibt. Ein Geschenk eines dort zu Wohlstand gekommenen Industriellen an seine alte Heimat.
Dort trafen Claudia und ich uns ein paar Tage nach unserer ersten Begegnung wieder. Der intellektuelle Austausch über Krüsi und seine Werke war sofort wieder so lebhaft wie beim ersten Mal, doch etwas war anders. Etwas vom Schmelz jener Basler Stunden fehlte. Wir gingen danach ins nahe gelegene Café Sprüngli am Paradeplatz, wo ich mich natürlich sofort nach Anzeichen dafür umschaute, ob die alte Legende, reiche reifere Damen würden sich hier ihre wesentlich jüngeren Liebhaber suchen, stimmte.
Das verging mir sehr schnell. Kaum hatte Claudia ihre heisse Schokolade bestellt, verfiel sie in einen total geschäftsmässigen Ton und teilte mir unverblümt mit, aus beruflichen Gründen brauche sie eine wichtige Information von mir. Nämlich den Namen jener Person, die den Appenzeller Secret zu jenem Testessen am Bach mitgebracht habe, von dem ich ihr so vorgeschwärmt hatte.
Ich weigerte mich, Deinen Namen herauszurücken. Zunächst. Dann berichtete mir Claudia, was sie mittlerweile alles über mich wusste. Zum Beispiel, dass ich heimlich, aber mit grosser Leidenschaft Online-Poker spiele. Und dabei vor Kurzem eine grössere Summe verloren habe. Einen Einsatz, den ich nicht selbst leisten konnte, sondern mir von einem angeblichen Spielkumpel geliehen hatte. Dieser Spielkumpel sei, sagte sie dann mit einer Eiseskälte, die mich frösteln liess, in Wirklichkeit eine Gruppe von Schuldeneintreibern, die für ihre rüden Methoden bekannt sei. Ob ich mir wirklich zutraue, ernsthafte körperliche Angriffe zu überstehen, nur um ein kleines Geheimnis zu bewahren?
Ich wusste, dass nicht. Ich bin alles andere als ein Held und habe vor aggressiven Angriffen panische Angst. Also habe ich ihr Deinen Namen genannt. Worauf sie versprach, in zwei Tagen sei mein Schuldenkonto ausgeglichen.
Nach diesem Deal herrschte frostiges Schweigen zwischen uns, ehe Claudia für mich völlig überraschend in Tränen ausbrach. Wir sassen zum Glück in einer so abgeschirmten Ecke, dass niemand diesen seltsamen Gefühlsausbruch einer coolen Geschäftsfrau mitbekam. Mir aber gestand sie unter langsam abebbendem Schluchzen, wie leid ihr das alles täte, dass sie zu solchen Methoden greifen müsse, aber der Druck, der auf ihr laste, sei enorm. Sie sei verantwortlich für etliche Arbeitsplätze und müsse deshalb im geschäftlichen Interesse manchmal Dinge tun, die sie eigentlich verabscheue. Sie käme sich manchmal vor wie der gute Mensch von Sezuan aus dem gleichnamigen Stück von Bert Brecht, jener Frau, die auch immer zwischen ihren Rollen als knallharte Geschäftsfrau und als sozial gesinnter Mensch hin- und herspringen müsse und sich deshalb innerlich zerreisse.
Dabei wäre sie mir gegenüber doch viel lieber Menschenfreundin. Sie fände mich sehr, sehr nett und spannend und wünsche sich sehnlich, dass wir wegen dieser dummen Geschichte nicht auseinandergerissen würden. Ob ich ihr noch mal verzeihen könne?
Einer Frau gegenüber, die mich unter Tränenschleiern mit einem um Verzeihung bittenden Lächeln anstrahlt, habe ich keine Chance. Und so war es auch diesmal. Ich war viel zu verliebt, um ihr ernsthaft böse sein zu können, zumal, als sie mir versicherte, ihr auf diese etwas dubiose Weise erworbenes Wissen würde niemandem schaden. Und ja, auch sie wolle mich
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