Mord im Nord
in dem die These aufgestellt wurde, an den Mysterien im antiken Griechenland sei Mutterkorn jenen Getränken beigefügt worden, die für die erwünschte Veränderung des Bewusstseins sorgen sollten. Antikes LSD sozusagen.
All dieses Wissen tauschten wir aus wie Pingpongbälle, wogen einander ab und stellten rasch fest, dass wir einander in Sachen geistiger Beweglichkeit ebenbürtig waren. Ich weiss nicht mehr, wer bald einmal vorschlug, das Gespräch im angenehmeren Rahmen fortzusetzen. Jedenfalls beschlossen wir, in die nahe ‹Kunsthalle› zu gehen, wo unsere Unterhaltung noch intensiver und dichter wurde.
In der Kunsthalle, liebevoll auch ‹Kunsthöhle› genannt, einer traditionsreichen Basler Institution, schien Claudia Kraft, wie sie sich mittlerweile vorgestellt hatte, bestens bekannt zu sein. Auf meinen erstaunten Blick hin erklärte sie, ja, sie sei oft mit Geschäftspartnern hier, sie sei Chefin eines privaten Forschungsinstituts, das sich auf Themen rund um das Gesundheitswesen spezialisiert habe und dabei natürlich eng mit der Pharmaindustrie zusammenarbeite. Solche Institute, fügte sie hinzu, gebe es in Basel als Sitz weltweit operierender Pharmakonzerne naturgemäss etliche.
Das erklärte natürlich einen wesentlichen Teil ihres Wissens. Psychopharmaka im weitesten Sinne sind ein Zukunftsmarkt, und da liegt es nahe, dass die Chefin eines einschlägigen Forschungsinstituts sich alles auf die Beobachtungsmonitore holt, was damit in irgendeinem Zusammenhang steht.
Doch da war noch mehr bei ihr. Da waren eine riesige Neugier auf alles Mögliche, ein breiter als bei den meisten Menschen gefächertes Interessenspektrum, eine Schnelligkeit des Denkens, eine Lust am geistigen Austausch, die mich zunehmend faszinierten. Ich hatte in Claudia, nach der ersten Flasche duzten wir uns, eine echte Seelenverwandte gefunden – dachte ich damals. Dazu noch eine, die mein Interesse für veränderte Bewusstseinszustände teilte.
Ich fand sie immer sympathischer, je länger unser Gespräch dauerte. Und es dauerte lang. Wir sprachen ausgiebig darüber, dass es kaum eine Kultur gegeben hat, die nicht veränderte Bewusstseinszustände, also das, was der Volksmund Rausch nennt, in hohen Ehren gehalten hätte, sei es als Gemeinschaftserlebnis, sei es zu Heilzwecken oder sei es als spirituelle Erfahrung. Und darüber, wie schwer sich unsere Gesellschaft mit Substanzen tut, die solche Zustände herbeiführen. Sie werden als ‹Drogen› verteufelt und verboten, und so wird das grosse Potenzial übersehen, das in ihnen steckt.
Claudia wies mich darauf hin, dass es grundsätzlich möglich sei, in dieser Sache seinen Geist zu öffnen, wie das Beispiel von Aldous Huxley zeige. Dieser habe in seinem berühmten Buch ‹Schöne neue Welt› den Begriff ‹Soma› als Namen für jene Chemikalie verwendet, welche in dieser negativen Utopie die Bevölkerung ruhigstellt. Nachdem er eine Weile mit psychoaktiven Substanzen experimentiert hatte, unter anderem auch mit LSD -Papst Timothy Leary, habe er deren Potenziale gesehen und daraus nicht nur seinen Erfahrungsbericht ‹Die Pforten der Wahrnehmung› gemacht, sondern auch einen utopischen Roman namens ‹Eiland›, in dem solche Substanzen eine wichtige Rolle bei der Bewusstseinsbildung der heranwachsenden Jugend spielen.
Dir, lieber Franz, brauche ich das alles ja nicht zu erklären, doch es gibt bekanntlich nicht viele Menschen, mit denen man in aller Offenheit über solche Themen reden kann. Deswegen war ich so fasziniert von Claudia. Dies steigerte sich noch, als wir herausfanden, dass wir in unserer Jugend beide ein ähnliches Interesse an jener Zeit entwickelt hatten, auf die der Titel der Ausstellung anspielt, die uns zusammengeführt hatte. Dieser Titel ist eine leichte Abwandlung eines Slogans, der in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren eine wichtige Rolle gespielt hatte: Sex, Drugs and Rock 'n' Roll.
Damals waren wir beide gerade geboren worden, und vielleicht, so mutmassten wir, hat dieses Gefühl, etwas verpasst zu haben, unser Interesse daran noch gefördert. Jedenfalls bedauerten wir beide, dass diese Zeit, in der man Experimenten mit veränderten Bewusstseinszuständen gegenüber offener war und Rausch und Ekstase als mögliche Bereicherung des menschlichen Daseins verstanden hatte, vorbei war. Wenngleich ein Teil davon offenbar in uns weiterlebte, in Form eines ungebrochenen Interesses daran, ob und wie sich mit Hilfe chemischer Substanzen,
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