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Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ihm nur ja oder nein hören, so oder so. Und dann kommen Sie. Ich sehe mit einem Blick, dass Sie Wert auf Ordnung und Methode legen. Sie möchten sich auf das beschränken, worum es geht. Ihre Antworten werden kurz und sachbezogen sein. Und da die menschliche Natur nun einmal etwas verquer ist, Mademoiselle, stelle ich Ihnen ganz andere Fragen. Ich frage Sie, was Sie empfinden, was Sie gedacht haben. Gefällt Sie Ihnen nicht, diese Methode?»
    «Wenn ich so frei sein darf, ich halte sie für reine Zeitverschwendung. Ob Mr. Ratchett mir gefiel oder nicht, bringt uns der Antwort auf die Frage nicht näher, wer ihn umgebracht hat.»
    «Wissen Sie, wer dieser Mr. Ratchett wirklich war, Mademoiselle?»
    Sie nickte. «Mrs. Hubbard erzählt es ja jedem.»
    «Und was halten Sie von der Armstrong-Geschichte?»
    «Abscheulich», antwortete sie kurz und bündig.
    Poirot sah sie nachdenklich an.
    «Sie haben Ihre Reise, soviel ich weiß, in Bagdad angetreten, Miss Debenham?»
    «Ja.»
    «Und fahren nach London?»
    «Ja.»
    «Was hatten Sie in Bagdad zu tun?»
    «Ich habe dort für zwei Kinder die Gouvernante gespielt.»
    «Und nach diesem Urlaub kehren Sie auf Ihren Posten zurück?»
    «Das weiß ich noch nicht.»
    «Wie das?»
    «Bagdad ist ziemlich weit aus der Welt. Wenn ich von einer passenden Stelle in London hören sollte, würde ich sie vorziehen.»
    «Aha. Ich dachte, Sie wollten vielleicht heiraten.»
    Miss Debenham antwortete nicht. Sie sah Poirot nur voll ins Gesicht, und ihr Blick sagte deutlich: «Sie sind unverschämt.»
    «Was halten Sie von der Dame, die mit Ihnen im Abteil ist – Miss Ohlsson?»
    «In meinen Augen ist sie ein schlichter, aber angenehmer Mensch.»
    «Welche Farbe hat ihr Morgenmantel?»
    Mary Debenham sah ihn groß an.
    «Irgendwie bräunlich – Naturwolle.»
    «Ah! Ich darf, hoffentlich ohne indiskret zu sein, erwähnen, dass mir auf dem Weg von Aleppo nach Istanbul die Farbe Ihres Morgenmantels aufgefallen ist. Ein blasses Lila, glaube ich.»
    «Stimmt.»
    «Haben Sie noch einen anderen Morgenmantel, Mademoiselle? Einen scharlachroten zum Beispiel?»
    «Nein, der gehört mir nicht.»
    Poirot beugte sich vor. Er war wie eine Katze, die zum Sprung nach einer Maus ansetzt.
    «Wem dann?»
    Die Frau schrak ein wenig zusammen.
    «Das weiß ich nicht. Wie meinen Sie das?»
    «Sie haben nicht gesagt: ‹Nein, so etwas besitze ich nicht.› Sie sagen: ‹Der gehört mir nicht› – was ja wohl heißt, dass er jemand anderem gehört.»
    Sie nickte.
    «Jemandem in diesem Zug?»
    «Ja.»
    «Wem?»
    «Ich sagte es gerade, ich weiß es nicht. Ich bin heute früh um fünf aufgewacht und hatte das Gefühl, dass der Zug schon eine ganze Weile stand. Da habe ich die Abteiltür aufgemacht und auf den Gang hinausgesehen, weil ich dachte, wir wären vielleicht auf einem Bahnhof. Und dabei habe ich am anderen Ende des Korridors jemanden in einem roten Kimono gesehen.»
    «Und Sie wissen nicht, wer das war? War die Frau blond, dunkel, grau?»
    «Kann ich nicht sagen. Sie trug ein Haarnetz, und ich konnte sie nur von hinten sehen.»
    «Und die Figur?»
    «Ziemlich groß und schlank, meine ich, aber das ist schwer zu sagen. Der Kimono war mit Drachen bestickt.»
    «Ja, richtig. Drachen.»
    Er schwieg eine kleine Weile. Dann sagte er leise vor sich hin: «Ich verstehe das nicht, ich verstehe das überhaupt nicht. Es hat weder Hand noch Fuß.»
    Dann blickte er wieder auf und sagte:
    «Ich brauche Sie nicht länger aufzuhalten, Mademoiselle.»
    «Oh!» Sie schien ein wenig enttäuscht zu sein, erhob sich aber prompt. An der Tür zögerte sie jedoch kurz und kam noch einmal zurück.
    «Die Schwedin – Miss Ohlsson, nicht wahr? – ist ganz geknickt. Sie habe den Mann als Letzte lebend gesehen, sollen Sie zu ihr gesagt haben. Nun scheint sie zu glauben, Sie hätten sie deswegen im Verdacht. Darf ich ihr nicht sagen, dass sie sich irrt? Sehen Sie, Miss Ohlsson ist doch nun wirklich ein Mensch, der keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte.»
    Sie lächelte ein wenig bei diesen Worten.
    «Wie viel Uhr war es, als sie zu Mrs. Hubbard ging, um sich ein Aspirin zu holen?»
    «Kurz nach halb elf.»
    «Und – wie lange war sie fort?»
    «Fünf Minuten vielleicht.»
    «Hat sie im Lauf der Nacht noch einmal das Abteil verlassen?»
    «Nein.»
    Poirot wandte sich an den Arzt.
    «Könnte Mr. Ratchett schon so früh umgebracht worden sein?»
    Der Doktor schüttelte den Kopf.
    «Dann können Sie, glaube ich, Ihre Freundin beruhigen,

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