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Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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einer von ihnen etwas sagte.
    Monsieur Bouc und Dr. Constantine hatten Poirots Anweisung zunächst befolgt. Sie hatten sich bemüht, das Geflecht widersprüchlicher Einzelheiten zu durchschauen und die klare, eindeutige Lösung dahinter zu entdecken.
    Monsieur Boucs Gedanken hatten etwa diesen Weg genommen:
    «Ja, gewiss muss ich nachdenken. Aber das tue ich doch die ganze Zeit… Poirot scheint zu glauben, dass diese junge Engländerin etwas damit zu tun hat. Ich kann aber nicht umhin, das für äußerst unwahrscheinlich zu halten… Die Engländerinnen sind unglaublich kühl. Kommt wahrscheinlich daher, dass sie keine Figur haben… aber das tut nichts zur Sache. Der Italiener kann es anscheinend nicht gewesen sein – schade. Der englische Diener lügt wohl nicht, wenn er sagt, der Italiener habe nie das Abteil verlassen. Warum sollte er? Einen Engländer zu bestechen, ist gar nicht so einfach – sie sind so unnahbar. Eine sehr bedauerliche Geschichte, das Ganze. Wann werden wir wohl aus diesem Schnee herauskommen? Es müssen doch schon irgendwelche Maßnahmen zu unserer Rettung im Gange sein. In diesen Ländern geht alles so langsam… es dauert Stunden, bis einem einfällt, irgendetwas zu tun. Und die Polizei hier zu Lande – da kommen noch einige Scherereien auf uns zu. Wie die sich aufplustern und auf ihre Hoheit pochen werden! Eine Riesenaffäre werden sie daraus machen. So eine Chance wird ihnen ja nicht jeden Tag geboten. Es wird in allen Zeitungen stehen…»
    Und von da an folgten Monsieur Boucs Gedanken einem gut ausgetretenen Pfad, den sie schon hundert Male gegangen waren.
    Dr. Constantines Gedanken folgten etwa dieser Bahn:
    «Er ist schon ein ulkiger kleiner Kerl. Ein Genie? Oder ein Spinner? Wird er dieses Rätsel lösen? Unmöglich. Ich wüsste nicht wie. Es ist so verwirrend… vielleicht lügen sie ja alle. Aber selbst wenn wir das wüssten, würde es uns nicht weiterhelfen. Wenn alle lügen, ist die Verwirrung ebenso groß, wie wenn alle die Wahrheit sagen. Komisch, das mit den Wunden. Ich begreife das nicht… es wäre leichter zu verstehen, wenn sie ihn erschossen hätten – in Amerika schießen sie doch immer mit Revolvern um sich. Ein seltsames Land, dieses Amerika. Da möchte ich ja gern mal hin. So fortschrittlich. Wenn ich nach Hause komme, muss ich mich einmal mit Demetrius Zagone zusammensetzen – er war schon drüben, hat alle diese modernen Ideen mitgebracht… Was Zia wohl zurzeit macht? Wenn meine Frau je dahinter kommt –»
    Und schon waren seine Gedanken bei gänzlich privaten Dingen.
    Hercule Poirot saß still wie eine Statue.
    Man sollte glauben, er wäre eingeschlafen.
    Und plötzlich, nach einer Viertelstunde völliger Reglosigkeit, begannen seine Augenbrauen langsam die Stirn hinaufzuwandern. Er gab einen leisen Seufzer von sich. Dann flüsterte er kaum hörbar vor sich hin:
    «Aber warum eigentlich nicht? Und wenn – ja, wenn, dann würde das alles erklären.»
    Er schlug die Augen auf. Sie waren so grün wie die einer Katze. Leise sagte er:
    «Eh bien. Ich habe nachgedacht. Und Sie?»
    Beide Männer waren noch so in ihre Betrachtungen versunken, dass sie heftig zusammenschraken.
    «Ja, auch ich habe nachgedacht», behauptete Monsieur Bouc ein ganz klein wenig schuldbewusst. «Aber ich bin zu keinem Ergebnis gekommen. Verbrechen aufzuklären ist Ihr Metier, mein Freund, nicht meines.»
    «Und auch ich habe sehr intensiv nachgedacht», log der Doktor, ohne rot zu werden, während er seine Gedanken von gewissen schlüpfrigen Details losriss. «Ich bin auf einige mögliche Theorien gekommen, aber es ist keine dabei, die mich voll befriedigt.»
    Poirot nickte liebenswürdig. Sein Nicken hieß: «So ist es recht. Das ist die angemessene Antwort. Sie haben mir das erhoffte Stichwort gegeben.»
    Er setzte sich stocksteif aufrecht, streckte die Brust heraus, streichelte seinen Schnurrbart und hob wie ein versierter Redner vor großem Publikum an:
    «Meine Freunde, ich habe im Geiste die vorliegenden Tatsachen Revue passieren lassen und auch noch einmal über die Aussagen aller Reisenden nachgedacht. Nun sehe ich – vorerst noch etwas nebelhaft – eine gewisse Erklärung, die alle uns bekannten Tatsachen abdecken würde. Es ist eine recht absonderliche Erklärung, und vorläufig kann ich noch nicht sicher sein, dass sie die richtige ist. Um das endgültig festzustellen, werde ich gewisse Experimente machen müssen.
    Als Erstes möchte ich nun einige Punkte erwähnen, die mir

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