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Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ist gut überlegt.»
    «Mit anderen Worten», meinte Poirot, «sie hat Ratchett im Dunkeln erstochen, ohne zu ahnen, dass er schon tot war, hat sich aber irgendwie gedacht, dass er sicher eine Uhr in der Schlafanzugjacke habe; die hat sie herausgenommen, die Zeiger blind zurückgestellt und zuletzt die erforderliche Delle in die Uhr gemacht.»
    Monsieur Bouc maß ihn mit einem kalten Blick.
    «Haben Sie einen besseren Vorschlag?», fragte er.
    «Im Augenblick – nein», gestand Poirot.
    «Aber egal», fuhr er fort, «ich glaube nicht, dass einer von Ihnen das eigentlich Interessanteste an der Uhr schon richtig gewürdigt hat.»
    «Hat es mit Frage Nummer sechs zu tun?», erkundigte sich der Arzt. «Auf diese Frage – ob der Mord um diese Zeit begangen wurde – um ein Uhr fünfzehn –, sage ich nämlich nein.»
    «Ich auch», erklärte Monsieur Bouc. ‹«War es früher?›, lautet die nächste Frage. Ich sage ja. Sie auch, Doktor?»
    Der Doktor nickte.
    «Ja, aber die Frage: ‹War es später?› kann ebenfalls mit ja beantwortet werden. Ich stimme Ihrer Theorie zu, Monsieur Bouc, und Monsieur Poirot tut das auch, glaube ich, obwohl er sich nicht festlegen möchte. Der Erste Mörder kam vor ein Uhr fünfzehn, der Zweite Mörder kam nach ein Uhr fünfzehn. Und zur Frage der Linkshändigkeit: Sollten wir nicht irgendwie festzustellen versuchen, wer von den Reisenden Linkshänder ist?»
    «Ich habe diesen Punkt nicht ganz außer Acht gelassen», sagte Poirot. «Vielleicht haben Sie bemerkt, dass ich jeden Passagier entweder eine Unterschrift leisten oder seine Adresse habe niederschreiben lassen. Das sagt noch nichts Endgültiges aus, denn manche Leute tun das eine mit der rechten und das andere mit der linken Hand. Manche schreiben zum Beispiel mit der Rechten, spielen aber Golf mit der Linken. Aber es ist immerhin etwas. Alle, die ich dazu aufforderte, haben den Federhalter in die rechte Hand genommen, mit Ausnahme der Fürstin Dragomiroff, die sich zu schreiben weigerte.»
    «Fürstin Dragomiroff, unmöglich», rief Monsieur Bouc.
    «Ich bezweifle, dass sie die Kraft gehabt hätte, diesen einen linkshändigen Stich zu führen», meinte Dr. Constantine skeptisch. «Dieser Stich wurde nämlich mit erheblicher Kraft geführt.»
    «Mehr Kraft, als eine Frau aufbieten könnte?»
    «Das würde ich nicht unbedingt sagen. Aber ich glaube, es war mehr Kraft dahinter, als eine alte Dame aufbieten könnte, und die Fürstin Dragomiroff ist von besonders schwächlicher Statur.»
    «Es könnte eine Frage der Macht des Geistes über den Körper sein», meinte Poirot. «Fürstin Dragomiroff ist eine starke Persönlichkeit von großer Willenskraft. Aber lassen wir das für den Augenblick beiseite.»
    «Zu den Fragen neun und zehn. Können wir sicher annehmen, dass Ratchett von mehr als einer Person erstochen wurde, und wie könnten seine Wunden anders zu erklären sein? Aus medizinischer Sicht kann es für mich keine andere Erklärung für die Wunden geben. Die Annahme, ein und derselbe Mensch habe zuerst nur schwach und dann mit großer Kraft zugestochen, zuerst mit der Rechten, dann mit der Linken, und nach einer Pause von vielleicht einer halben Stunde habe er dem Leichnam weitere Wunden zugefügt – also, das ergibt doch keinen Sinn.»
    «Nein», sagte Poirot, «das ergibt keinen Sinn. Und Sie meinen, zwei Mörder ergäben einen Sinn?»
    «Wie Sie selbst gesagt haben: Welche andere Erklärung könnte es geben?»
    Poirot blickte starr vor sich hin.
    «Das frage ich mich ja auch», sagte er. «Das frage ich mich unaufhörlich.»
    Er lehnte sich zurück.
    «Von nun an spielt sich alles hier drinnen ab.» Er tippte sich an die Stirn. «Wir haben das Letzte herausgeholt. Alle Tatsachen liegen wohl geordnet vor uns ausgebreitet. Die Fahrgäste haben einer nach dem anderen hier gesessen und ihre Zeugnisse abgelegt. Wir wissen alles, was es zu wissen gibt… äuße r lich …»
    Er lächelte Monsieur Bouc liebevoll an.
    «Wir beide, mon vieux, haben schon oft darüber gescherzt, nicht wahr – über meine Behauptung, man könne sich einfach zurücklehnen und durch Denken zur Wahrheit gelangen. Nun, ich werde diese Theorie jetzt in die Praxis umsetzen – hier vor Ihren Augen. Sie müssen aber beide das Gleiche tun. Schließen wir alle drei unsere Augen und denken …
    Einer oder mehrere von den Reisenden haben Ratchett getötet. Wer war ’ s?»

Drittes Kapitel

Gewisse Punkte von Bedeutung
     
    E s verging eine Viertelstunde, ehe

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