Mord im Pfarrhaus
sie ist eine – Dame.»
Er schaute mich mitleidig an.
«Ah! Nun gut, Sir», sagte er nachgiebig, «Sie sind ein Kirchenmann. Sie wissen nicht, wie es in der Welt zugeht. Dame, dass ich nicht lache! Sie wären überrascht, wenn Sie ein paar der Dinge wüssten, die ich weiß.»
«Ich beziehe mich nicht nur auf eine gesellschaftliche Position. Jedenfalls könnte ich mir vorstellen, dass Mrs Lestrange déclasseé ist. Was ich meine, ist eine Frage – persönlicher Kultiviertheit.»
«Sie sehen sie nicht mit den gleichen Augen wie ich, Sir. Ich mag ein Mann sein – aber ich bin auch Polizeioffizier. Mich können sie mit ihrer persönlichen Kultiviertheit nicht täuschen. Wirklich, diese Frau gehört zu der Sorte, die einem ein Messer in die Brust sticht, ohne mit der Wimper zu zucken.»
Merkwürdigerweise konnte ich mir viel leichter vorstellen, dass Mrs Lestrange einen Mord beging, als dass sie der Erpressung fähig war.
«Aber natürlich kann sie nicht die alte Dame von nebenan angerufen und zur gleichen Zeit Colonel Protheroe erschossen haben», räumte der Kommissar ein.
Kaum hatte er den Satz gesagt, schlug er sich heftig aufs Bein.
«Ich habs!», rief er. «Deshalb der Telefonanruf. Eine Art Alibi. Sie wusste, dass wir ihn mit dem ersten Anruf in Verbindung bringen würden. Das werde ich untersuchen. Vielleicht hat sie irgendeinen Dorfburschen bestochen, für sie anzurufen. Ihm würde nie einfallen, darin einen Zusammenhang mit dem Mord zu sehen.»
Der Kommissar eilte davon.
Griselda steckte den Kopf herein. «Miss Marple möchte dich sehen. Sie hat eine sehr unklare Nachricht geschickt – in Spinnwebschrift und’ mit vielen Unterstreichungen. Das meiste konnte ich nicht lesen. Offenbar kann sie nicht weg. Eil dich und geh zu ihr hinüber und stell fest, worum es geht. Meine alten Frauen kommen in zwei Minuten, sonst würde ich selbst gehen. Ich hasse alte Frauen – sie erzählen dir von ihren schlimmen Beinen, und manchmal bestehen sie darauf, sie dir zu zeigen. Ein Glück, dass heute Nachmittag die gerichtliche Untersuchung ist! So musst du nicht beim Kricketspiel des Jungenclubs zuschauen.»
Erheblich beunruhigt über den Grund dieser Aufforderung eilte ich hinüber.
Miss Marple befand sich in einem Zustand, der wohl als helle Aufregung zu bezeichnen ist. Ihr Gesicht war sehr gerötet und sie redete einigermaßen zusammenhanglos.
«Mein Neffe», erklärte sie. «Mein Neffe Raymond West, der Schriftsteller. Er kommt heute. So ein Durcheinander. Um alles muss ich mich selbst kümmern. Bei einem Dienstmädchen kann man sich nicht darauf verlassen, dass es ein Bett ordentlich lüftet, und heute Abend müssen wir natürlich eine Fleischmahlzeit haben. Gentlemen brauchen viel Fleisch, nicht wahr? Und Getränke. Es muss unbedingt etwas zu trinken im Haus sein – und ein Siphon.»
«Wenn ich etwas für Sie tun kann…»
«Oh, wie freundlich von Ihnen! Aber das habe ich nicht gemeint. Ich habe wirklich Zeit genug. Ich bin froh, dass er seine eigene Pfeife und Tabak mitbringt. Froh, weil ich so nicht wissen muss, welche Zigarettensorte ich kaufen soll. Aber auch ziemlich ärgerlich, weil es so lange dauert, bis der Geruch aus den Vorhängen verschwindet. Natürlich mache ich das Fenster auf und schüttle sie jeden Morgen gründlich aus. Raymond steht sehr spät auf – das haben Schriftsteller wohl häufig an sich. Er schreibt sehr kluge Bücher, glaube ich, obwohl die Menschen nicht annähernd so unerfreulich sind, wie er behauptet. Kluge junge Männer wissen so wenig vom Leben, finden Sie nicht auch?»
«Möchten Sie, dass ich ihn zum Abendessen ins Pfarrhaus einlade?» Ich verstand immer noch nicht, warum ich hergebeten worden war.
«Oh! Nein, danke», sagte Miss Marple. «Das ist sehr nett von Ihnen.»
«Da war – äh – etwas, weshalb Sie mich sehen wollten, glaube ich», sagte ich verzweifelt.
«Oh! Natürlich. Bei all der Aufregung habe ich es völlig vergessen.» Sie rief ihr Mädchen. «Emily – Emily. Nicht diese Laken. Die mit Hohlsaum und Monogramm, und legen Sie sie nicht zu nahe ans Feuer.»
Sie schloss die Tür und kam auf Zehenspitzen zurück.
«Es ist nur so, dass sich in der vergangenen Nacht eine recht seltsame Sache ereignet hat», erklärte sie. «Ich dachte, Sie würden gern etwas darüber hören, obwohl es im Moment keinen Sinn ergibt. Ich konnte nicht schlafen – machte mir Gedanken über diese traurige Angelegenheit. Und stand auf und schaute aus dem Fenster. Und was
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