Mord im Pfarrhaus
auf so wenig Ermunterung so begeistert reagierte. Er ließ kein Argument für und gegen seine eigene Lieblingstheorie aus – die ich, nebenbei bemerkt, nicht begriff.
Ausführlich ging er auf seine Meinungsverschiedenheit mit Colonel Protheroe ein.
«Ein überheblicher Tölpel», sagte er hitzig. «Ja, ja, ich weiß, er ist tot, und über Tote sollte man nichts Schlechtes sagen. Aber der Tod ändert nicht die Tatsachen. Überheblicher Tölpel beschreibt ihn genau. Weil er ein paar Bücher gelesen hat, behauptet er, eine Autorität zu sein – gegenüber einem Mann, der lebenslang sein Fach studiert hat. Mein ganzes Leben, Mr Clement, habe ich dieser Arbeit gewidmet. Mein ganzes Leben…»
Er versprühte Speichel vor Erregung. Gladys Cram brachte ihn mit einem kurzen Satz auf den Boden zurück.
«Sie verpassen Ihren Zug, wenn Sie nicht Acht geben.»
«Oh!» Der kleine Mann hörte mitten im Satz auf und zog eine Uhr aus der Tasche. «Du meine Güte. Viertel vor? Unmöglich!»
«Wenn Sie einmal anfangen zu reden, denken Sie nie an die Zeit. Was Sie ohne mich machen würden, weiß ich wirklich nicht.»
«Ganz richtig, meine Liebe, ganz richtig.» Er tätschelte ihr liebevoll die Schulter. «Sie ist ein wunderbares Mädchen, Mr Clement. Sie vergisst nie etwas. Ich schätze mich sehr glücklich, sie gefunden zu haben.»
«Jetzt gehen Sie schon, Dr. Stone. Sie verwöhnen mich, wirklich.»
Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich nun wesentliche Argumente zur Unterstützung der Klatschmäuler hatte, die den legitimen Ehestand als Zukunft für Dr. Stone und Miss Cram voraussahen. Ich konnte mir vorstellen, dass Miss Cram auf ihre Art eine ziemlich gerissene junge Frau war.
«Sie sollten sich auf den Weg machen», sagte Miss Cram.
«Ja, ja, ich muss.»
Er verschwand im Zimmer nebenan und kam mit einem Koffer zurück.
«Reisen Sie ab?», fragte ich überrascht.
«Nur für ein paar Tage nach London», erklärte er. «Morgen meine alte Mutter besuchen, am Montag eine Besprechung mit meinen Anwälten. Am Dienstag komme ich wieder. Übrigens, ich gehe davon aus, dass Colonel Protheroes Tod nichts an unseren Abmachungen ändert. Über das Hügelgrab, meine ich. Mrs Protheroe wird doch nichts dagegen haben, dass wir unsere Arbeit fortsetzen?»
«Das kann ich mir nicht vorstellen.»
Während er sprach, überlegte ich, wer eigentlich künftig in Old Hall das Sagen hatte. Ob Protheroe den Besitz Lettice hinterlassen hatte? Es wäre interessant, den Inhalt seines Testaments zu kennen.
«Bringt viel Ärger in eine Familie, so ein Tod», bemerkte Miss Cram mit einer Art düsterem Behagen. «Sie würden nicht glauben, was für eine bösartige Stimmung da manchmal herrscht.»
«Also, ich muss wirklich gehen.» Dr. Stone versuchte vergeblich seinen Koffer, eine große Decke und einen unhandlichen Schirm zu halten. Ich kam ihm zu Hilfe. Er protestierte.
«Lassen Sie nur – lassen Sie nur. Ich schaffe das schon. Bestimmt ist unten jemand.»
Aber unten war weder ein Hausdiener noch sonst jemand in Sicht. Vermutlich saßen sie auf Kosten der Presse bei einem Umtrunk. Die Zeit verging, also machten wir uns zusammen auf den Weg zum Bahnhof. Dr. Stone trug den Koffer, ich die Decke und den Schirm.
Während wir dahineilten, stieß Dr. Stone zwischen keuchenden Atemzügen Satzbrocken aus.
«Wirklich zu freundlich von Ihnen – war nicht meine Absicht – Sie zu belästigen… Hoffe, wir verpassen nicht – den Zug – Gladys ist ein gutes Mädchen – wirklich ein wunderbares Mädchen – sehr lieber Charakter – nicht besonders glücklich zu Hause, fürchte ich – absolut – das Herz eines Kindes – Herz eines Kindes. Ich versichere Ihnen, trotz – Altersunterschied – viel gemeinsam…»
Gerade als wir zum Bahnhof abbogen, sahen wir Lawrence Reddings Häuschen. Es steht allein, ohne Nachbarhäuser. Ich sah zwei junge, modisch gekleidete Männer auf der Schwelle und zwei weitere, die in die Fenster spähten. Die Presse hatte heute viel zu tun.
«Netter Mensch, der junge Redding», bemerkte ich, weil ich wissen wollte, was mein Gefährte dazu sagte.
Er war inzwischen so außer Atem, dass er kaum etwas herausbrachte, doch er keuchte ein Wort hervor, das ich zuerst nicht recht verstand.
«Gefährlich», japste er, als ich ihn bat, es zu wiederholen.
«Gefährlich?»
«Höchst gefährlich. Unschuldige Mädchen – wissen es nicht besser – fallen auf so einen Kerl herein – treibt sich immer bei Frauen herum…
Weitere Kostenlose Bücher