Mord im Pfarrhaus
6.20 für ihren Besuch anzugeben.
Unser Mädchen Mary war die nächste Zeugin und erwies sich als ziemlich aufsässig. Sie hatte nichts gehört und wollte nichts hören. Es war schließlich nicht so, als würden ständig Besucher des Pfarrers erschossen. Keineswegs. Sie hatte sich um ihre eigenen Pflichten zu kümmern. Colonel Protheroe war genau um Viertel nach sechs gekommen. Nein, sie hatte nicht auf die Uhr geschaut. Sie hörte die Kirchenuhr, nachdem sie ihn ins Arbeitszimmer geführt hatte. Sie hatte keinen Schuss gehört. Wenn ein Schuss gefallen wäre, hätte sie ihn gehört.
Ja, natürlich, sie wusste, dass ein Schuss gefallen sein musste, schließlich war der Gentleman erschossen aufgefunden worden – aber so war es eben. Sie hatte ihn nicht gehört.
Der Coroner beharrte nicht auf diesem Punkt. Mir wurde klar, dass er und Colonel Melchett sich abgesprochen hatten.
Mrs Lestrange war vorgeladen worden, aber ein medizinisches Attest, von Dr. Haydock unterschrieben, bescheinigte, dass sie zu krank war um zu erscheinen.
Es gab nur noch eine weitere Zeugin, eine etwas tatterige alte Frau. Sie war es, die sich nach Slacks Worten um Lawrence Redding «kümmerte».
Man zeigte ihr die Pistole, und sie erkannte sie als diejenige, die sie in Mr Reddings Wohnzimmer gesehen hatte, «im Bücherregal, da hatte er sie herumliegen». Am Mordtag hatte sie die Waffe zuletzt gesehen. Ja – als Antwort auf eine weitere Frage – sie war ganz sicher, dass die Pistole am Donnerstagmittag dort gewesen war – um Viertel vor eins, als sie ging.
Mir fiel ein, was der Kommissar erzählt hatte, und ich war etwas überrascht. Auch wenn sie bei seiner Befragung ungenau gewesen sein mochte, jetzt war sie jedenfalls in diesem Punkt ganz präzis.
Der Coroner fasste das Ergebnis auf negative Art, aber mit großer Bestimmtheit zusammen. Der Tatbestand wurde fast sofort formuliert:
Mord durch Unbekannt.
Als ich den Raum verließ, fiel mir ein kleiner Trupp junger Männer mit gescheiten, wachen Gesichtern und einer gewissen oberflächlichen Ähnlichkeit auf. Einige von ihnen kannte ich schon vom Sehen, weil sie in den letzten Tagen das Pfarrhaus belagert hatten. Weil ich ihnen entkommen wollte, ging ich zurück in den Blauen Eber und hatte das Glück, dem Archäologen Dr. Stone in die Arme zu laufen. Ohne Umstände hielt ich ihn fest.
«Journalisten», sagte ich kurz und nachdrücklich. «Wenn Sie mich aus ihren Klauen retten könnten?»
«Aber sicher, Mr Clement. Kommen Sie mit mir hinauf.»
Er führte mich die enge Treppe hinauf und in sein Wohnzimmer, wo Miss Cram saß und routiniert auf einer Schreibmaschine klapperte. Sie begrüßte mich mit breitem Lächeln und nahm die Gelegenheit wahr, ihre Arbeit zu unterbrechen.
«Schrecklich, nicht wahr?», sagte sie. «Dass man nicht weiß, wer es getan hat, meine ich. Nicht nur weil ich von der Untersuchung enttäuscht bin. Zahm, das ist meine Meinung. Nichts, was man pikant nennen könnte, von Anfang bis Ende.»
«Dann waren Sie also dort, Miss Cram?»
«Und ob. Komisch, dass Sie mich nicht gesehen haben. Wirklich nicht? Das kränkt mich ein bisschen. Ja, wirklich. Ein Gentleman, selbst wenn er Pfarrer ist, sollte Augen im Kopf haben.»
«Waren Sie auch dort?», fragte ich Dr. Stone, um diesem spielerischen Geschäker zu entkommen. Junge Frauen wie Miss Cram machen mich immer verlegen.
«Nein, ich interessiere mich leider sehr wenig für solche Sachen. Ich bin ein Mann, der ganz in seinem eigenen Hobby aufgeht.»
«Es muss ein sehr interessantes Hobby sein», sagte ich.
«Verstehen Sie vielleicht etwas davon?»
Ich musste zugeben, dass ich so gut wie nichts darüber wusste.
Dr. Stone war nicht der Mann, der sich durch das Eingeständnis der Ignoranz entmutigen ließ. Das Ergebnis war genau das Gleiche, als wenn ich gesagt hätte, die Ausgrabung von Hügelgräbern sei meine einzige Entspannung. Er stürzte sich in eine Rede, die dahinbrauste und wogte wie ein reißender Strom. Lange Hügelgräber, runde Hügelgräber, Steinzeit, Bronzezeit, paläolithische, neolithische Kistvaens und Kromlechs, es brach hervor wie eine aufgestaute Flut. Ich brauchte wenig zu tun außer zu nicken und intelligent auszusehen – und Letzteres ist vielleicht zu optimistisch. Dr. Stone dröhnte immer weiter. Er war ein kleiner Mann. Sein Kopf war rund und kahl, sein Gesicht rund und rosig, und er strahlte einen durch sehr starke Brillengläser an. Ich hatte noch nie einen Menschen gekannt, der
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