Mord im Pfarrhaus
glauben Sie, was ich sah?»
Ich schaute sie fragend an.
«Gladys Cram», sagte Miss Marple mit starkem Nachdruck. «Und sie ging mit einem Koffer in den Wald, so wahr ich hier stehe.»
«Einem Koffer?»
«Ist das nicht ungewöhnlich? Was wollte sie um Mitternacht mit einem Koffer im Wald? Verstehen Sie, ich glaube nicht, dass es etwas mit dem Mord zu tun hat. Aber es ist ein merkwürdiger Vorfall. Und gerade jetzt haben wir alle das Gefühl, dass wir auf merkwürdige Vorfälle achten müssen.»
«Ganz und gar verblüffend», sagte ich. «Wollte sie – äh – vielleicht im Hügelgrab schlafen?»
«Das hat sie jedenfalls nicht getan», sagte Miss Marple. «Denn kurz darauf kam sie zurück und hatte den Koffer nicht mehr dabei.»
Achtzehntes Kapitel
D ie gerichtliche Untersuchung fand an diesem Nachmittag (Samstag) um zwei Uhr im Blauen Eber statt. Selbstverständlich war die Aufregung im Dorf ungeheuer. In den letzten fünfzehn Jahren hatte es in St. Mary Mead keinen Mord gegeben. Und wenn jemand wie Colonel Protheroe und noch dazu im Arbeitszimmer des Pfarrhauses umgebracht wird, ist das eine Sensation erster Güte, wie sie einer Dorfbevölkerung selten geboten wird.
An meine Ohren drangen verschiedene Kommentare, die ich wahrscheinlich nicht hören sollte.
«Da ist der Pfarrer. Sieht blass aus, nicht wahr? Ich frage mich, ob er was damit zu tun hatte. Schließlich ist es im Pfarrhaus passiert.» – «Wie kannst du nur, Mary Adams! Und noch dazu, wo er die ganze Zeit Henry Abbott besucht.» – «Oh, aber es heißt, er und der Colonel haben sich gestritten. Da ist Mary Hill. Tut, als wär sie Gott weiß wer, nur weil sie dort im Dienst ist. Pst, da kommt der Coroner.»
Der Coroner, der als richterlicher Beamter die Todesursache zu untersuchen hatte, war Dr. Roberts aus unserer Nachbarstadt Much Benham. Er räusperte sich, rückte seine Brille zurecht und sah bedeutend aus.
Das ganze Beweismaterial zu wiederholen wäre nur ermüdend. Lawrence Redding sagte aus, wie er die Leiche gefunden hatte, und identifizierte die Pistole als seine eigene. Nach bestem Glauben hatte er sie am Dienstag gesehen, zwei Tage zuvor. Sie wurde auf einem Regal in seinem Häuschen aufbewahrt, und die Tür des Häuschens war üblicherweise unverschlossen.
Mrs Protheroe bezeugte, sie habe ihren Mann zuletzt um Viertel vor sechs gesehen, als sie sich auf der Dorfstraße trennten. Sie vereinbarten, dass sie ihn später im Pfarrhaus abholen würde. Um Viertel nach sechs war sie über den hinteren Weg durch das Gartentor zum Pfarrhaus gegangen. Sie hatte keine Stimmen aus dem Arbeitszimmer gehört und gedacht, der Raum sei leer, aber ihr Mann könnte am Schreibtisch gesessen haben, wo sie ihn nicht gesehen hätte. Soweit sie wusste, war er wie immer bei guter Gesundheit und Laune gewesen. Sie wusste von keinem Feind, der ihn gehasst hatte.
Ich sagte als Nächster aus und berichtete von meiner Verabredung mit Protheroe und dem Anruf, der mich zu den Abbotts holte. Ich beschrieb, wie ich die Leiche gefunden und Dr. Haydock geholt hatte.
«Wie viele Leute wussten, Mr Clement, dass Colonel Protheroe Sie an diesem Abend aufsuchen würde?»
«Viele, kann ich mir vorstellen. Meine Frau wusste es und mein Neffe, und Colonel Protheroe selbst sprach davon an jenem Morgen, als ich ihn im Dorf traf. Ich könnte mir denken, dass ihn mehrere Leute gehört haben, weil er wegen seiner Schwerhörigkeit sehr laut redete.»
«Es war also allgemein bekannt? Jeder konnte es wissen?»
Ich stimmte zu.
Dann kam Haydock an die Reihe. Er war ein wichtiger Zeuge. Sorgfältig und mit technischen Einzelheiten beschrieb er das Aussehen der Leiche und die genauen Verletzungen. Seiner Meinung nach war der Colonel etwa zwischen 6.20 und 6.30 erschossen worden – bestimmt nicht später als 6.35. Das war die äußerste Grenze. Haydock war an diesem Punkt ganz sicher und entschieden. Selbstmord kam nicht in Frage, Protheroe konnte sich die Wunde nicht selbst beigebracht haben.
Kommissar Slacks Aussage war diskret und verkürzt. Er beschrieb, wie er verständigt worden war und unter welchen Umständen er die Leiche gefunden hatte. Der unvollendete Brief wurde vorgelegt und die Zeitangabe darauf – 6.20 – festgehalten. Ein weiteres Beweisstück war die Uhr. Stillschweigend wurde angenommen, dass die Todeszeit 6.22 war. Die Polizei verriet nichts. Anne Protheroe erzählte mir hinterher, dass sie aufgefordert worden war, einen etwas früheren Zeitpunkt als
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