Mord im Spiegel
Ella, als Marina verschwunden war und die Tür sich hinter ihr schloss. »Finden Sie, dass das Haus Atmosphäre besitzt?«
»Darüber habe ich nie nachgedacht«, antwortete Mrs Bantry. »Es war einfach unser Haus. In mancher Hinsicht ziemlich unbequem und in anderer Beziehung wieder nett und gemütlich.«
»So ungefähr habe ich es mir vorgestellt«, sagte Ella. Sie warf Mrs Bantry einen kurzen Blick zu. »Da wir gerade von Atmosphäre sprechen – wann ist der Mord hier eigentlich geschehen?«
»Hier ist nie ein Mord passiert.«
»Ich bitte Sie! Bei den vielen Geschichten, die ich darüber gehört habe! Genau hier auf dem Kaminvorleger, habe ich Recht?« Ella nickte in Richtung Kamin.
»Ja«, gab Mrs Bantry zu. »Dort war es.«
»Also passierte doch ein Mord?«
Mrs Bantry schüttelte den Kopf. »Nicht hier. Die Frau wurde woanders umgebracht und dann hier in diesen Raum geschleppt. Wir kannten sie nicht.«
Ella musterte sie nachdenklich. »Es dürfte ziemlich schwierig gewesen sein, die Leute davon zu überzeugen.«
»Das stimmt allerdings.«
»Wann haben Sie es entdeckt?«
»An jenem Morgen brachte das Mädchen den Tee hinauf«, sagte Mrs Bantry. »Damals hatten wir noch ein Dienstmädchen, wissen Sie.«
»Ich weiß Bescheid«, sagte Ella. »Sicherlich trug sie ein gestärktes bedrucktes Baumwollkleid.«
»Ich erinnere mich nicht mehr«, antwortete Mrs Bantry. »Jedenfalls stürzte sie herein und rief, dass in der Bibliothek eine Tote liege. Ich sagte: ›Unsinn!‹, dann weckte ich meinen Mann, und wir gingen hinunter.«
»Und da lag sie«, sagte Ella. »Was für seltsame Dinge passieren können.« Sie wandte kurz den Kopf zur Tür und fügte hinzu: »Bitte, erzählen Sie Miss Gregg nichts davon. Es wäre nicht gut für sie.«
»Natürlich nicht. Ich sage kein Wort«, erwiderte Mrs Bantry. »Ich spreche nie davon. Es ist schon so lange her. Aber wird sie – ich meine, Miss Gregg –, wird sie es nicht sowieso erfahren?«
»Sie kommt mit den Realitäten des Lebens selten in Berührung«, meinte Ella. »Filmstars leben manchmal ziemlich isoliert, wissen Sie. Sehr oft ist es sogar notwendig, weil ihnen alles so schnell unter die Haut geht. Miss Gregg war in den letzten Jahren sehr krank. Erst vor einem Jahr hatte sie ein Comeback.«
»Sie scheint das Haus zu mögen«, sagte Mrs Bantry, »und zu glauben, dass sie hier glücklich sein wird.«
»Ein oder zwei Jahre wird sie es schon aushalten.«
»Nicht länger?«
»Das bezweifle ich. Marina gehört zu den Leuten, die immer glauben, das Paradies gefunden zu haben. Aber das Leben ist nicht so einfach.«
»Nein«, sagte Mrs Bantry nachdrücklich. »Das ist es nicht.«
»Es bedeutet ihm sehr viel, wenn sie hier glücklich ist«, sagte Ella. Sie aß noch zwei Sandwiches, die sie so hastig in sich hineinstopfte, als habe sie Angst, einen Zug zu versäumen. »Er ist ein Genie, wissen Sie«, sagte sie. »Haben Sie mal einen Film von ihm gesehen?«
Mrs Bantry geriet etwas in Verlegenheit. Sie gehörte zu den Menschen, die nur wegen des Films ins Kino gehen. Der lange Vorspann mit den Namen der Schauspieler, des Regisseurs, des Produzenten, des Kameramanns und der restlichen Mannschaft zog unbemerkt an ihrem Auge vorüber. Sehr häufig wusste sie nicht einmal, wer die Hauptrolle spielte. Aber sie gab diese kleine Schwäche nicht gern zu. »Ich bringe sie immer durcheinander«, sagte sie.
»Natürlich muss er sich um alles selbst kümmern«, fuhr Ella fort. »Vor allem um seine Frau, und die ist nicht einfach. Man muss immer aufpassen, dass sie glücklich ist. Und so etwas ist schwierig. Außer… außer…« Sie zögerte.
»Außer man gehört zu der fröhlichen Sorte«, schlug Mrs Bantry vor. »Aber manche Leute«, fügte sie nachdenklich hinzu, »genießen es, sich elend zu fühlen.«
»Oh, zu denen gehört Marina nicht«, sagte Ella und schüttelte den Kopf. »Es ist eher so, dass die Höhen und Tiefen ihrer Gefühle besonders heftig sind. Sie wissen schon – im einen Augenblick überglücklich, begeistert über alles, wie herrlich sie sich fühlt und so, und dann passiert nur irgendeine Kleinigkeit, und ihre Stimmung sinkt bis ins genaue Gegenteil.«
»Das nennt man wohl Temperament«, sagte Mrs Bantry etwas vage.
»Genau«, rief Ella. »Temperament, das ist es! Diese Leute sind alle sehr temperamentvoll, die einen mehr, die anderen weniger, aber Marina Gregg ist temperamentvoller als die meisten. Wer wüsste das besser als wir. Was für
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