Mord im Spiegel
krank… ich dachte, ich müsste einfach hingehen…«
»Das ist Wodka.« Misstrauisch betrachtete Mrs Allcock ihr Glas. »Mr Rudd fragte mich, ob ich ihn kosten wollte. Klingt sehr russisch. Ich glaube, ich mag ihn nicht besonders…«
»… ich sagte mir, dass ich nicht aufgeben durfte. Ich legte ordentlich Make-up auf…«
»Es ist wohl nicht sehr höflich, wenn ich das Glas irgendwo abstelle.« Mrs Allcock klang verzweifelt.
»Überhaupt nicht«, tröstete sie Mrs Bantry. »Wodka muss in einem Zug gekippt werden«, Mrs Allcock sah sie entsetzt an, »aber dazu braucht man Übung. Stellen Sie das Glas auf den Tisch dort, und nehmen Sie sich einen Martini von dem Tablett, mit dem der Butler herumläuft.«
Sie drehte sich zu Heather Badcock um, die mit abschließendem Schwung sagte:
»Ich werde nie vergessen, wie großartig Sie waren! Es war die Aufregung hundertmal wert!«
Diesmal reagierte Marina nicht so automatisch. Ihr Blick, der über Heather Badcock hinweggeglitten war, schien sich an einem Punkt auf halber Treppe festzusaugen. Sie starrte mit so entsetztem Gesicht darauf, dass Mrs Bantry unwillkürlich einen Schritt auf sie zu machte. Würde Marina in Ohnmacht fallen? Was, um alles auf der Welt, hatte sie so erschreckt? Doch noch ehe sie Marina erreicht hatte, hatte sich diese wieder gefasst, und ihr jetzt etwas vager Blick kehrte zu Heather zurück. Mit ihrem alten Charme, der plötzlich etwas Gezwungenes hatte, sagte sie:
»Was für eine reizende kleine Geschichte. Also – was möchten Sie trinken? Jason, komm her! Einen Cocktail?«
»Eigentlich bin ich nur Limonade oder Orangensaft gewöhnt.«
»Da lässt sich etwas Besseres finden«, sagte Marina. »Heute ist ein Festtag.«
»Ich schlage einen Daiquiri vor«, sagte Jason, der mit zwei Gläsern näher kam. »Den mag Marina auch am liebsten.«
Er reichte seiner Frau ein Glas.
»Ich sollte nichts mehr trinken«, meinte Marina. »Ich hatte schon drei.« Trotzdem nahm sie es.
Jason reichte Heather das andere Glas. Marina wandte sich ab und begrüßte den nächsten Gast.
»Gehen wir los und sehen wir uns die Bäder an«, sagte Mrs Bantry zu Mrs Allcock.
»Glauben Sie, wir dürfen es? Wäre das nicht sehr aufdringlich?«
»Ich glaube nicht«, antwortete Mrs Bantry. Sie trat auf Jason Rudd zu und sagte: »Wir würden gern Ihre schönen neuen Badezimmer besichtigen, Mr Rudd. Haben Sie etwas gegen unsere höchst weibliche Neugierde?«
»Natürlich nicht«, sagte Jason und grinste. »Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen, meine Damen. Wenn Sie Lust haben, können Sie auch baden.«
Mrs Allcock folgte Mrs Bantry den Gang entlang. »Das war sehr freundlich von Ihnen, Mrs Bantry. Ich muss gestehen, dass ich nicht den Mut aufgebracht hätte.«
»Man muss etwas riskieren, wenn man etwas erreichen will«, erwiderte Mrs Bantry.
Sie gingen weiter den Korridor entlang und öffneten verschiedene Türen. Begeisterte »Ahs«, und »Ohs«, waren von Mrs Allcock und zwei anderen Damen zu hören, die sich ihnen angeschlossen hatten.
»Mir gefällt das rosa Bad besonders«, sagte Mrs Allcock. »Ja, das rosa Bad finde ich am schönsten!«
»Ich mag das mit den Delphinkacheln lieber«, erklärte eine der beiden unbekannten Damen.
Mrs Bantry spielte mit großem Vergnügen die Gastgeberin. Einen Augenblick lang vergaß sie beinahe, dass das Haus ihr nicht mehr gehörte.
»Und die vielen Duschen!«, stellte Mrs Allcock ehrfürchtig fest. »Nicht, dass ich das Duschen besonders schätze. Man bekommt immer einen nassen Kopf.«
»Es wäre nett, wenn wir auch einen Blick in die Schlafzimmer werfen könnten«, meinte eine der beiden unbekannten Damen sehnsüchtig. »Aber das wäre wohl etwas zu aufdringlich. Was meinen Sie?«
»Ach, ich finde, wir könnten es tun«, sagte Mrs Allcock. Beide Damen blickten Mrs Bantry hoffnungsvoll an.
»Nun«, sagte Mrs Bantry, »ich fürchte, wir sollten lieber nicht…« Dann hatte sie Mitleid mit ihnen. »Na, es braucht ja keiner was davon zu erfahren.« Sie legte die Hand auf einen Türgriff.
Doch die Entscheidung wurde ihnen abgenommen. Alle Schlafzimmer waren abgeschlossen. Die Damen waren äußerst enttäuscht.
»Schließlich haben die Besitzer auch ein Recht auf ein gewisses Privatleben«, sagte Mrs Bantry freundlich.
Sie machten sich auf den Rückweg. Mrs Bantry blickte zu einem der Korridorfenster hinaus. Unten auf dem Rasen entdeckte sie Mrs Meavy – aus der Siedlung –, die in ihrem gerüschten Organdykleid sehr
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