Mord im Spiegel
kauften, welches einmal Mrs Bantry gehört habe. Und sie hoffe, sie hoffe es aus ganzem Herzen, dass Mrs Bantry über die Veränderungen nicht zu betrübt sei und sie nicht für schreckliche Eindringlinge halte, weil sie jetzt hier wohnten.
»Dass Sie jetzt in diesem Haus leben, ist eines der aufregendsten Dinge, die hier je passiert sind«, erklärte Mrs Bantry heiter und blickte zum Kamin.
Als käme ihr erst jetzt der Gedanke, rief Marina: »Sie kennen meinen Mann noch nicht! Jason, dies ist Mrs Bantry.«
Mrs Bantry musterte Jason Rudd voll Interesse. Ihr erster Eindruck, dass dies einer der hässlichsten Männer war, die sie kannte, verstärkte sich. Er hatte seltsame Augen, die tief in den Höhlen lagen, wie stille Seen, dachte Mrs Bantry und kam sich vor wie die Verfasserin romantischer Liebesromane. Sein Gesicht war zerklüftet, fast bis zur Lächerlichkeit unproportioniert. Seine Nase wies nach oben, und mit etwas roter Schminke hätte man sie ganz einfach in eine Clownnase verwandeln können. Er hatte auch den breiten traurigen Mund eines Clowns. Ob er im Augenblick wütend war oder immer aussah, als sei er wütend, konnte Mrs Bantry nicht sagen. Seine Stimme war seltsamerweise sehr angenehm, tief und warm.
»Der Ehemann kommt immer zuletzt«, sagte er. »Aber ich möchte mich meiner Frau anschließen und ebenfalls feststellen, wie sehr wir uns über Ihren Besuch freuen. Hoffentlich finden Sie nicht, dass die Rollen eigentlich anders verteilt sein sollten.«
»Sie dürfen nicht glauben«, sagte Mrs Bantry, »dass man mich aus meinem Haus vertrieben hat. Es war auch nie meine Heimat. Ich habe den Verkauf nie bedauert. Das Haus war so unpraktisch. Den Garten liebte ich, aber das Haus wurde immer mehr zu einem Problem. Ich habe meine Freiheit sehr genossen. Ich bin viel gereist und habe meine Töchter und Enkel und Freunde besucht, die an den verschiedensten Orten der Welt leben.«
»Sie haben Töchter«, sagte Marina Gregg. »Auch Söhne?«
»Zwei Töchter und zwei Söhne, die fast alle sehr weit weggezogen sind: Kenia, Südamerika, Texas und einer in London, Gott sei Dank.«
»Vier Kinder«, sagte Marina Gregg. »Und Enkel?«
»Bis jetzt neun. Großmutter zu spielen macht Spaß. Man hat keine Verantwortung wie die Eltern, keine Sorgen, sondern kann sie nach Herzenslust verwöhnen…«
»Ich fürchte, die Sonne blendet Sie«, unterbrach sie Jason Rudd und ging zu einem Fenster, um die Jalousie zu verstellen. »Sie müssen uns mehr über diesen reizenden Ort erzählen«, sagte er, während er zum Teetisch trat.
Er reichte ihr eine Tasse Tee.
»Möchten Sie ein Sandwich oder lieber von diesem Kuchen? Wir haben eine italienische Köchin, die sehr gut backen kann. Wie Sie sehen, haben wir uns an die englische Sitte, nachmittags Tee zu trinken, bereits gewöhnt.«
»Der Tee schmeckt köstlich«, sagte Mrs Bantry und trank einen Schluck.
Marina Gregg lächelte. Sie sah sehr zufrieden aus. Ihre Finger, die sich noch vor ein paar Augenblicken unruhig bewegt hatten, lagen still in ihrem Schoß. Ihre Unruhe war Jason Rudd nicht entgangen. Mrs Bantry blickte die Gastgeberin bewundernd an. Marina Gregg war schon berühmt gewesen, bevor es Mode wurde, alles nach den Maßen der Statistik zu messen. Man hätte sie niemals als eine Sexbombe bezeichnen können, als »Miss Busen«, oder »Miss Körper«. Sie war immer groß und schlank und geschmeidig gewesen. Ihr Gesicht besaß eine Schönheit, die an Greta Garbo erinnerte. Sie hatte in ihren Filmen Charakterrollen gespielt, kaum je Sexbomben. Wenn sie den Kopf wandte, die schönen Augen weit öffnete oder ihr Mund zu zittern begann, wurde einem plötzlich bewusst, wie atemberaubend schön sie war, eine Schönheit, die nichts mit regelmäßigen Gesichtszügen zu tun hatte, sondern eine Verzauberung war, die aus dem Innern kam. Sie besaß diese Ausstrahlung immer noch, wenn es auch nicht mehr so offensichtlich war. Wie vielen Film- und Bühnenschauspielerinnen schien es auch ihr zur Gewohnheit geworden zu sein, nach Lust und Laune ihren Charme zu zeigen oder sich in sich zurückzuziehen. Sie konnte ruhig, freundlich, kühl sein, was ihre Bewunderer enttäuschte. Und dann plötzlich eine Kopfbewegung, eine Geste, ein Lächeln, und der Zauber war wieder da.
Einer ihrer besten Filme war »Maria Stuart« gewesen, und an diese Rolle wurde Mrs Bantry jetzt erinnert, als sie sie betrachtete. Dann glitt Mrs Bantrys Blick zu ihrem Mann. Er beobachtete Marina ebenfalls.
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