Mord im Spiegel
gut kennt –, gibt es Augenblicke, wo man ganz mechanisch weiteragiert. Man lächelt, macht die passenden Gesten, sagt die richtigen Worte mit der richtigen Betonung. Doch mit den Gedanken ist man ganz woanders. Und ganz plötzlich hat man eine Sperre. Man weiß nicht mehr, wo man ist, wie weit man in dem Stück gekommen ist, wie der nächste Satz heißt. Man ist völlig leer im Kopf. Und ebendies ist passiert. Ich bin nicht sehr kräftig, wie Ihnen mein Mann bestätigen wird. Ich habe ziemlich schlimme Zeiten hinter mir, und wegen meines neuen Films bin ich nervlich sehr angespannt. Ich wollte, dass dieses Wohltätigkeitsfest ein Erfolg wurde. Ich wollte nett und charmant zu allen sein und alle Gäste oben in der Halle selbst begrüßen. Man sagt also immer wieder die gleichen Dinge, ganz mechanisch, zu Leuten, die auch immer wieder das Gleiche sagen. Sie wissen schon – dass sie sich freuen, einen kennen zu lernen, dass sie einen mal vor einem Kino in San Francisco gesehen haben oder mit demselben Flugzeug gereist sind. Irgendetwas Idiotisches, aber man muss nett und freundlich bleiben und irgendetwas Höfliches antworten. Wie ich Ihnen schon sagte, macht man das völlig automatisch. Man muss nicht lange überlegen, weil man diese Antworten schon so häufig gegeben hat. Plötzlich war ich schrecklich müde, mein Kopf war leer. Dann entdeckte ich, dass Mrs Badcock mir eine lange Geschichte erzählt hatte und mich erwartungsvoll ansah und ich nicht geantwortet und eine passende freundliche Bemerkung gemacht hatte. Es war die Müdigkeit.«
»Nur die Müdigkeit?«, fragte Craddock nachdenklich. »Sind Sie sicher, Miss Gregg?«
»Ja, absolut. Ich begreife nicht, warum Sie mir nicht glauben.«
»Mr Rudd«, sagte Craddock und sah ihn an, »ich denke, Sie verstehen besser als Ihre Frau, worum es mir geht. Ich bin um die Sicherheit Ihrer Frau besorgt – sehr besorgt. Man hat versucht, sie umzubringen, man hat ihr Drohbriefe geschickt. Das bedeutet, dass der Täter am Tag des Wohltätigkeitsfestes im Haus war und vermutlich noch immer hier ist, dass er über alle Vorgänge im Haus genau Bescheid weiß. Diese Person, wer immer sie auch ist, könnte leicht verrückt sein. Es handelt sich nicht nur um Drohungen. Damit hat sich der Unbekannte nicht begnügt. Er hat versucht, Miss Gregg zu vergiften. Es liegt in der Natur der Sache, dass er diesen Anschlag auf Miss Greggs Leben wiederholt. Sehen Sie das denn nicht? Es gibt nur eine Möglichkeit, ein Höchstmaß an Sicherheit zu erreichen: Sie müssen mir alle Hinweise geben, die Sie kennen. Ich behaupte damit nicht, dass Sie wissen, wer dahinter steckt, aber ich glaube, dass Sie eine Vermutung haben, eine vage Vorstellung. Wollen Sie mir nicht die Wahrheit verraten? Oder falls Sie sie nicht wissen, Ihre Frau veranlassen, sie mir zu erzählen? Es ist im Interesse ihrer eigenen Sicherheit, dass ich Sie darum bitte!«
Langsam wandte Rudd den Kopf. »Du hast gehört, was Chefinspektor Craddock gesagt hat, Marina. Vielleicht weißt du wirklich etwas, von dem ich keine Ahnung habe. Wenn das stimmt, dann sei um Gottes willen nicht dumm und erzähle es uns! Und sei es auch nur ein vager Verdacht!«
»Aber ich weiß doch nichts!«, rief Marina Gregg klagend. »Du musst mir glauben!«
»Vor wem hatten Sie Angst?«, fragte Craddock.
»Ich hatte keine Angst!«
»Hören Sie, Miss Gregg, unter den Gästen, die die Treppe heraufkamen, waren zwei Freunde von Ihnen, die Sie lange nicht gesehen und an jenem Tag auch nicht erwartet hatten. Sie waren über ihr Erscheinen überrascht. Es waren Mr Ardwyck Fenn und Miss Brewster. Hat es Sie irgendwie aufgeregt, als Sie sie plötzlich auf der Treppe sahen? Sie wussten doch nicht, dass sie kommen wollten?«
»Wir hatten nicht einmal eine Ahnung, dass sie sich in England befanden«, warf Rudd ein.
»Ich war entzückt«, sagte Marina Gregg, »ganz entzückt!«
»Sie freuten sich, Miss Brewster zu sehen?«
»Nun…« Sie warf ihm einen kurzen, etwas misstrauischen Blick zu.
»Lola Brewster war einmal mit Ihrem dritten Mann verheiratet«, bemerkte Craddock. »Mit Robert Truscott.«
»Ja, das stimmt.«
»Er ließ sich wegen Ihnen von ihr scheiden.«
»Mein Gott, das weiß doch die ganze Welt!«, rief Marina Gregg ungeduldig. »Sie brauchen nicht zu glauben, dass nur Sie allein darüber Bescheid wissen. Damals hat es etwas Aufregung gegeben, aber am Ende haben wir uns alle wieder vertragen.«
»Hat sie Ihnen gedroht?«
»Nun ja, in
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