Mord im Spiegel
gewisser Weise schon. Es ist so schwer zu erklären. Verstehen Sie, niemand nimmt derartige Drohungen ernst. Es war auf einer Party, sie hatte eine Menge getrunken. Vielleicht hätte sie sogar auf mich geschossen, wenn sie eine Waffe gehabt hätte. Glücklicherweise hatte sie keine. Doch das ist Jahre her! Solche Gefühle verschwinden mit der Zeit. Sie dauern nicht ewig. Das stimmt doch, Jason, nicht wahr?«
»Natürlich«, antwortete Rudd. »Außerdem kann ich Ihnen versichern, Mr Craddock, dass Lola Brewster an jenem Tag keine Gelegenheit hatte, meine Frau umzubringen. Die meiste Zeit stand ich neben ihr. Die Vorstellung, dass Lola plötzlich – nach all den Jahren – in unserem Haus erscheint mit der Absicht, den Drink meiner Frau… völlig absurd!«
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Craddock.
»Außerdem bleibt die Tatsache bestehen, dass sie nicht einmal in die Nähe von Marinas Glas gekommen ist.«
»Und der andere Besucher – Ardwyck Fenn?«
Craddock hatte den Eindruck, dass Rudd etwas zögerte, ehe er antwortete.
»Er ist ein sehr alter Freund von uns«, erwiderte Rudd schließlich. »Wir hatten ihn viele Jahre nicht gesehen, wir hatten uns nur hin und wieder geschrieben. Im amerikanischen Fernsehen ist er ein ziemlich großes Tier.«
»Ist er auch ein alter Freund von Ihnen?«, fragte Craddock Marina Gregg.
Sie atmete etwas rascher und antwortete sofort: »Ja, o ja! Er – er ist wirklich ein guter Freund von mir, nur habe ich ihn in letzter Zeit aus den Augen verloren.«, jetzt überstürzten sich ihre Worte fast. »Wenn Sie glauben, dass ich über Ardwycks Erscheinen erschrocken bin, dann ist das Unsinn. Absoluter, Unsinn! Warum sollte ich vor ihm Angst haben. Was für einen Grund hätte ich denn? Wir sind gute Freunde. Ich habe mich schrecklich gefreut, als ich ihn entdeckte. Eine große Überraschung, wie ich Ihnen schon sagte. Ja, eine große Überraschung!« Auf ihrem Gesicht lag ein trotziger Ausdruck. Sie hob den Kopf und sah ihn offen an.
»Ich danke Ihnen, Miss Gregg«, sagte Craddock ruhig. »Sollten Sie irgendwann das Bedürfnis haben, mich weiter ins Vertrauen zu ziehen, dann tun Sie das, bitte, sofort!«
14
M rs Bantry lag auf den Knien. Es war ein guter Tag zum Hacken und Unkrautjäten, die Erde schön trocken. Es würde eine Menge Arbeit werden. Erst die Disteln, dann der Löwenzahn. Energisch machte sie sich ans Werk.
Schließlich erhob sie sich, atemlos, aber siegreich. Das Beet war ohne Unkraut. Zufrieden blickte sie über die Hecke auf die Straße. Leicht erstaunt stellte sie fest, dass die dunkelhaarige Sekretärin, an deren Namen sie sich nicht erinnern konnte, aus der Telefonzelle bei der Bushaltestelle trat.
Wie hieß die Frau noch? Etwas mit einem B – oder war es ein R? Nein, Zielinsky hieß sie. Mrs Bantry war der Name gerade noch rechtzeitig eingefallen, denn Ella Zielinsky überquerte schon die Straße und kam die Einfahrt herauf.
»Guten Morgen, Miss Zielinsky«, rief Mrs Bantry freundlich.
Ella Zielinsky zuckte zusammen. Oder vielmehr sie scheute zurück, fand Mrs Bantry, wie ein Pferd, das erschrickt. Mrs Bantry war verblüfft.
»Guten Morgen«, grüßte Ella Zielinsky und fügte hastig hinzu: »Ich musste von hier aus telefonieren. Mit unserem Apparat ist etwas nicht in Ordnung.«
Mrs Bantrys Verblüffung wuchs. Sie wunderte sich, warum Ella Zielinsky sich die Mühe machte, ihr so genau davon zu erzählen.
»Wie ärgerlich«, erwiderte sie verbindlich. »Sie können jederzeit hereinkommen und von meinem Apparat aus telefonieren.«
»Oh – vielen Dank…« Ella Zielinsky musste heftig niesen.
»Sie haben Heuschnupfen«, diagnostizierte Mrs Bantry sofort. »Versuchen Sie’s mal mit einer schwachen Natriumbicarbonatlösung!«
»Ach, es geht schon. Ich habe ein ganz gutes Spray. Trotzdem vielen Dank für den Rat.« Sie nieste wieder und ging rasch die Auffahrt weiter hinauf.
Mrs Bantry blickte ihr nach. Dann wanderten ihre Augen zum Beet zurück. Sie betrachtete es verdrießlich. Kein einziges Unkraut war mehr zu sehen.
»Da gibt’s nichts mehr zu tun«, murmelte sie etwas verlegen in sich hinein. »Was bin ich doch für eine neugierige Person! Trotzdem wüsste ich gern…«
Ein kurzer Augenblick der Unentschlossenheit, dann gab Mrs Bantry der Versuchung nach. Sie war eben eine neugierige alte Person, zum Teufel mit dem schlechten Gewissen. Sie schritt ins Haus und zum Telefon, hob den Hörer ab und wählte. Eine kühle Stimme mit
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