Mord im Spiegel
richtete sie sich auf. »Der gute Jinks! Hält er mich denn für so dumm?«
»Sie haben mir immer noch nicht gesagt, Miss Gregg, warum Sie glauben, dass jemand Sie töten wollte.«
Wieder schwieg sie eine Weile. Plötzlich streckte sie die Hand aus und griff nach ihrer Handtasche, öffnete sie, nahm ein Blatt Papier heraus und hielt es Craddock hin. Er nahm es und las, was darauf stand. Es war nur eine mit Schreibmaschine getippte Zeile:
Das nächste Mal kommen Sie nicht davon.
»Wann haben Sie es erhalten?«, fragte Craddock scharf.
»Der Bogen lag auf meinem Ankleidetisch, als ich aus dem Bad zurückkam!«
»Es ist also jemand aus dem Haus – «
»Nicht unbedingt. Derjenige kann auch den Balkon vor meinem Fenster hochgeklettert sein und das Blatt zum Fenster hineingeworfen haben. Man wollte mir wohl noch mehr Angst machen, aber eigentlich habe ich gar keine. Ich bin nur schrecklich wütend und beschloss sofort, Sie holen zu lassen.«
Craddock lächelte. »Sicherlich für den Absender ein ziemlich überraschendes Ergebnis seiner Bemühungen. Ist dies die erste derartige Nachricht, die Sie erhalten haben?«
Wieder zögerte Marina Gregg. Dann meinte sie: »Nein, nicht die Erste.«
»Möchten Sie mir nicht auch von den andern erzählen?«
»Der erste Drohbrief kam vor drei Wochen. Nicht hierher, sondern ins Studio. Er war ziemlich lächerlich. Nur drei Worte, nicht mit Schreibmaschine geschrieben, sondern mit der Hand – Druckbuchstaben. Sie werden sterben, hießen die Worte.« Sie lachte. Ein leichter hysterischer Unterton schwang in ihrem Lachen mit. Doch ihre Heiterkeit war echt. »Es war so völlig verrückt«, sagte sie. »Ich bekomme häufig Briefe von Verrückten oder Drohungen und ähnliches Zeug. Zuerst hielt ich den Absender für einen religiösen Eiferer. Irgendjemand, der Filmstars nicht mag. Ich habe das Blatt einfach zerrissen und in den Papierkorb geworfen.«
»Haben Sie es jemandem erzählt?«
Marina Gregg schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe kein Wort gesagt. Wir hatten auch gerade mit einer Einstellung Probleme, die wir drehten, und ich konnte an nichts anderes denken. Jedenfalls, wie ich schon sagte, hielt ich es für einen üblen Scherz oder für das Schreiben eines Fanatikers, der etwas gegen Schauspieler hat.«
»Es blieb nicht die einzige Nachricht?«
»Nein. Am Tag des Wohltätigkeitsfests traf wieder ein Brief ein. Wenn ich mich recht erinnere, brachte ihn mir einer der Gärtner. Er sagte, jemand habe ihn für mich abgegeben, ob er auf eine Antwort warten solle. Ich dachte, dass es etwas mit den Festvorbereitungen zu tun habe, und riss ihn auf. Auf dem Blatt stand nur: Heute ist Ihr letzter Tag auf Erden. Ich knüllte das Blatt einfach zusammen und sagte: ›keine Antwort‹. Dann rief ich den Mann noch einmal zurück und fragte, wer ihm den Brief gegeben habe. Es war ein Typ mit Brille gewesen, auf einem Fahrrad. Was hätte ich weiter tun sollen? Ich hielt das Ganze wieder für den Einfall eines Verrückten. Nicht einen Augenblick lang habe ich geglaubt – ich meine, natürlich habe ich nicht an eine ernst zu nehmende Drohung gedacht.«
»Wo ist der Brief, Miss Gregg?«
»Keine Ahnung. Ich trug eines dieser italienischen bunten Seidenkleider und habe den Zettel wohl einfach in die Tasche gesteckt. Aber da ist er nicht mehr. Vermutlich ist er rausgefallen.«
»Und Sie können sich nicht vorstellen, wer diese Drohbriefe schrieb, Miss Gregg? Wer der Verfasser sein könnte? Selbst jetzt noch nicht?«
Ihre Augen wurden groß. Es lag eine Art unschuldiges Staunen darin, das Craddock sehr wohl bemerkte. Er bewunderte es, doch er hielt es nicht für echt.
»Wie soll ich das wissen?«
»Ich glaube, Sie haben sehr wohl eine Ahnung, Miss Gregg.«
»Ganz bestimmt nicht. Da können Sie ganz sicher sein!«
»Sie sind eine berühmte Filmschauspielerin«, sagte Craddock. »Sie haben viel Erfolg. Erfolg im Beruf und auch im Privatleben. Männer haben sich in Sie verliebt, wollten Sie heiraten, haben Sie geheiratet. Frauen waren eifersüchtig auf Sie und beneideten Sie. Männer haben Sie verehrt und sind von Ihnen zurückgewiesen worden. Es ist ein ziemlich weites Feld von Möglichkeiten, das gebe ich zu, doch ich finde, Sie müssten eine Vermutung darüber haben, wer der Verfasser ist.«
»Es hätte jeder sein können.«
»Nein, Miss Gregg, nicht jeder. Aber einer von vielen, vielleicht ein einfacher Angestellter wie ein Garderobier, ein Elektriker, ein Hausmädchen. Oder
Weitere Kostenlose Bücher