Mord im Spiegel
hinuntergegangen, damit wir ein paar Fotos vom Eintreffen des Bürgermeisters machten. Ringwerfen, Schatzsuche, Tombola und der ganze Unsinn. Dann kehrte ich in die Halle zurück, nicht etwa aus dienstlichen Gründen, sondern weil ich was trinken wollte. Die Drinks waren ausgezeichnet.«
»Aha! Können Sie sich noch erinnern, wer mit Ihnen zusammen die Treppe hinaufging?«
»Margot Bence aus London war da, mit ihrer Kamera.«
»Kennen Sie sie gut?«
»Man begegnet sich immer wieder. Sie ist ein tüchtiges Mädchen und hat mit ihren Bildern viel Erfolg. Sie fotografiert alle gesellschaftlichen Ereignisse – Premieren, Galas, Empfänge. Sie sucht sich immer besondere Bildwinkel aus. Fast schon Kunst! Sie stand in einer Ecke der Halle, strategisch sehr geschickt. Sie konnte jeden fotografieren, der heraufkam und begrüßt wurde. Lola Brewster war vor mir. Zuerst habe ich sie nicht erkannt. Sie hatte eine neue Haarfarbe – rostbraun – und war frisiert wie eine Fidschi-Insulanerin. Als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, trug sie das Haar lang. Es war schön gewellt und kastanienbraun. Ein großer dunkler Mann begleitete sie, Amerikaner, schätze ich. Ich kenne ihn nicht, aber er wirkte sehr bedeutend.«
»Haben Sie Marina Gregg angesehen?«
»Ja, natürlich.«
»Sie war nicht aufgeregt oder machte den Eindruck, als habe sie einen Schock gehabt? Als habe sie Angst?«
»Komisch, dass Sie es erwähnen. Einen Augenblick dachte ich tatsächlich, sie würde in Ohnmacht fallen.«
»Ich verstehe«, sagte Craddock nachdenklich. »Vielen Dank. Sonst haben Sie mir nichts zu erzählen?«
McNeil machte unschuldige Augen. »Was sollte das sein?«, fragte er.
»Ich traue Ihnen nicht!«, erklärte Craddock.
»Aber Sie scheinen ziemlich sicher zu sein, dass ich’s nicht getan habe. Enttäuschend. Angenommen, es stellt sich heraus, dass ich ihr erster Ehemann bin. Kein Mensch kennt ihn. Er war so unbedeutend, dass man sogar seinen Namen vergessen hat.«
Craddock grinste. »Eine Schülerliebe vielleicht?«, fragte er.
»Oder sie haben schon in den Windeln geheiratet. Ich muss mich beeilen. Mein Zug wartet nicht.«
Auf Craddocks Schreibtisch in New Scotland Yard lag ein sauber beschriftetes Häufchen Akten. Er sah es flüchtig durch und fragte über die Schulter:
»Wo wohnt Lola Brewster?«
»Im ›Savoy‹, Sir. Suite 1800. Sie erwartet Sie.«
»Und Ardwyck Fenn?«
»Im ›Dorchester‹. Erster Stock, Zimmer 190.«
»Sehr schön.«
Er nahm ein paar Telegramme, las sie durch und steckte sie in die Jackentasche. Nachdem er das Letzte gelesen hatte, lächelte er kurz. »Sag nur, dass ich meine Sache nicht gut mache, Tante Jane«, murmelte er in sich hinein.
Dann machte er sich auf den Weg ins »Savoy«.
Lola Brewster empfing Chefinspektor Craddock überschwänglich, obwohl das sonst nicht ihre Art war. Craddock dachte an den Bericht, den er über sie gelesen hatte, und musterte sie eingehend. Immer noch eine Schönheit, fand er, wenn auch etwas üppig und eine Spur verblüht, doch immer noch ein Typ, der gefiel. Natürlich eine ganz andere Frau als Marina Gregg. Nachdem sie ein paar Höflichkeiten ausgetauscht hatten, warf Lola ihr rostbraunes Haar zurück, schürzte ihre kräftig mit Lippenstift nachgezogenen Lippen verführerisch und klapperte mit den blau geschminkten Augendeckeln.
»Warum wollen Sie mir noch mehr schreckliche Fragen stellen?«, rief sie. »Das hat schon Ihr Kollege getan.«
»Ich hoffe, sie waren nicht zu schrecklich, Miss Brewster.«
»Oh, ich bin überzeugt, Sie sind ein ganz Schlimmer. Das Ganze kann nur ein entsetzlicher Irrtum gewesen sein.«
»Glauben Sie?«
»Ja. Was für ein Unsinn! Meinen Sie wirklich, dass jemand Marina vergiften wollte? Sie ist so lieb und süß, wissen Sie. Alle Leute mögen sie.«
»Sie auch?«
»Ich habe sie immer geliebt.«
»Aber, Miss Brewster! Gab’s da nicht einmal Schwierigkeiten, vor etwa elf oder zwölf Jahren?«
»Ach, das«, meinte Lola wegwerfend. »Ich war so empfindlich und völlig durcheinander. Rob und ich hatten schrecklich viel Streit. Damals war keiner von uns beiden normal. Marina verliebte sich Hals über Kopf in ihn. Es hat ihn richtig umgeworfen, den Guten.«
»Und Ihnen ging es sehr nahe?«
»Das glaubte ich damals, Chefinspektor. Heute weiß ich natürlich, dass mir nichts Besseres hätte passieren können. Eigentlich machte ich mir nur wegen der Kinder Sorgen, verstehen Sie? Dass sie nun kein richtiges Zuhause mehr
Weitere Kostenlose Bücher