Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
mir eine der vielen unnütz gewordenen Tontafeln, die Kenherchepeschef und Sennodjem täglich wegwarfen, nachdem sie Notizen auf ihnen gemacht hatten, brach davon ein unbeschriebenes Stück ab und kritzelte mit der Kohle, mit der ich meine Augen geschminkt hatte, hastig die Verfluchungsformel. Ich hoffte, auf diese Weise Kenherchepeschef den Eintritt in Osiris’ Reich zu verwehren, sodass er mir vor dem Totenrichter nicht schaden konnte. Doch Kaaper hat, wie ich hörte, später einen Gegenzauber gesprochen. Wahrscheinlich wird Kenherchepeschef an der Pforte des Todes schon auf mich warten, um zu sehen, wie ich dereinst dort abgewiesen werde.«
Parahotep ließ die Schultern sinken und auf einmal schluchzte er los wie ein kleines, verlassenes Kind.
Rechmire starrte ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung an. Was konnte er von dieser Geschichte glauben? Parahotep leugnete die beiden Morde, obwohl viele Zeichen darauf hindeuteten, dass er zumindest Kenherchepeschef ins Reich des Westens geschickt hatte. War es wirklich eine dreiste Lüge? Immerhin hatte der Zeichner gestanden, einen Schatz des Pharaos im eigenen Grab aufgestellt, einen Mordanschlag verübt und eine verbotene Liebe zu einem Mann gepflegt zu haben – genug Verbrechen, um ihm einen schrecklichen Tod zu bereiten. Mehr noch: Welchen Grund könnte Parahotep haben, dem Pharao nach dem Leben zu trachten?
»Hat Merenptah je ein Wort an dich gerichtet bei seinen beiden letzten Besuchen?«, fragte er.
Parahotep unterbrach sein Wimmern und blickte ihn verwirrt an. »Selbstverständlich nicht«, murmelte er. »Ich habe mich vor ihm in den Staub geworfen wie alle anderen. Die Gnade seines Wortes hat er nur Kenherchepeschef gewährt.«
Rechmire nickte resigniert. Er wusste, dass es sinnlos war, den Zeichner von den Medjai verhaften und zum Tschati schleppen zu lassen. Mentuhotep würde seine Geschichte anhören und Parahotep hinrichten lassen. Vielleicht hätte er den Zeichner sogar zusätzlich wegen der beiden Morde an Kenherchepeschef und Sennodjem bestraft, obwohl noch Zweifel blieben. Die Frevel wären damit offiziell gesühnt und die Maat wieder hergestellt worden und vielleicht hätte Rechmire doch noch die Gunst Mentuhoteps erlangt. Doch die mit Blut geschriebene Drohung machte alle diese Überlegungen zunichte. Rechmire musste den Täter finden, ohne dass dabei noch der leiseste Zweifel an seiner Schuld bestand. Denn nur so konnte er verhindern, dass der Pharao selbst zum Opfer des Mörders wurde.
»Ich werde Nachtmin zu dir schicken«, sagte er müde und stand auf. »Wenn der Sunu deinen Blutfluss gestillt hat, dann will ich, dass du Merenptahs Schatz dorthin zurückbringst, wo er hingehört. Nach dem Besuch des Pharaos werde ich entscheiden, ob ich deine Frevel anzeigen werde oder vergesse.«
Rechmire wandte sich ab und verließ Parahoteps Haus, ohne die Antwort des Zeichners abzuwarten.
Als er nach draußen trat, sah er zu seinem Schrecken, dass Amuns Wagen bereits tief im Westen stand. Ihm rann die Zeit bis zum Besuch des Pharaos davon. Ihm blieben noch die letzte Stunde des heutigen und die zwölf des morgigen Tages, wenn er den Mörder vor der Ankunft Merenptahs finden wollte.
Amuns rotes Licht flutete über das Dorf, in dem alle Menschen aufgeregt und fröhlich irgendwelchen Beschäftigungen nachzugehen schienen. Djehuti hatte seine Medjai neben der Zisterne vor dem Tor Aufstellung nehmen lassen, wo sie unter seinen strengen Blicken ihre Waffen polierten, dass sie blitzten wie die Spiegel eitler Adeliger aus Piramesse. Die Ehefrauen und Töchter der Arbeiter und die Sklavinnen des Pharaos fegten die Häuser aus, verbrannten wohlriechende Kräuter, putzten die Dachterrassen oder hingen das beste Leinen zum Trocknen in die Abendsonne. Währenddessen warfen die Männer und Jungen frischen Putz an schadhafte Mauerstellen, weißten die Außenwände ihrer Häuser oder zogen die Malereien auf den hölzernen Türen nach. Das Dorf sollte so aussehen, als sei es erst gestern errichtet worden und nicht schon vor vielen hundert Jahren.
Rechmire fand den Arzt in seinem Haus, das eines der wenigen war, an denen nicht geputzt, geflickt oder verschönert wurde. Nachtmin saß mit einem Krug Wein auf seiner Dachterrasse und genoss die Abendbrise und den Ausblick auf das hektische Treiben in Set-Maat.
Der Sunu lachte, als er Rechmire erblickte, und deutete auf seine Mitbewohner. »Die Menschen sind wie Kinder«, rief er erheitert und offensichtlich
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