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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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wiederum sowohl der Zeichner als auch der Priester Grund und Gelegenheit gehabt hätten.
    »Wie war es denn wirklich?«, fragte er müde. »Oder sollte ich besser sagen: Wie sieht deine Version der Wahrheit aus?«
    Kaaper lächelte ihn mitfühlend an. »Auf dein Herz drückt die gefährlichste, schwierigste und zugleich undankbarste Aufgabe im ganzen Lande Kemet«, erwiderte er. »Und der Pharao kennt nicht einmal deinen Namen. Ich mochte dich von Anfang an, Rechmire, und deshalb werde ich dir helfen – auch wenn ich dich angelogen habe.« Er holte tief Luft. »Du ahnst natürlich schon längst, dass ich nicht wegen eines Gelübdes zum Ort der Wahrheit gekommen bin – zumindest nicht direkt. Es stimmt schon, dass ich hoffte, hier einen Weg zu finden, der mich wieder aus meiner Blindheit hinausführen würde. Doch nicht im kleinen, schäbigen Tempel des Amun, sondern in dem Haus der Buchrollen des Ersten Schreibers.
    Kenherchepeschef war oft im Tempel von Karnak und hat sich lange mit dem Hohepriester beraten. Ich weiß nicht, was die beiden zu bereden hatten, denn Userhet schickte meist alle Priester und Sklaven hinaus, wenn der Erste Schreiber kam. Ich nehme an, es ging um das Haus der Ewigkeit, das sich der Hohepriester mit Kenherchepeschefs unschätzbarer Hilfe in den westlichen Bergen erbauen ließ. Manchmal aber gewährte der Hohepriester seinem Gast die Gnade, einigen niederen Riten mit uns Priestern beizuwohnen.
    Einmal gingen sie danach plaudernd durch die Tempelgärten. Ich war zufällig in der Nähe, als Kenherchepeschef dem Hohepriester berichtete, dass er das Traumbuch des Chnumhotep gefunden habe. Ich konnte nicht verstehen, wo und wie er an dieses kostbare Werk gekommen war, doch ich fühlte mich, als hätte sich mir Amun endlich offenbart. Dort waren alle Weisheiten versammelt, die Thot den Menschen je diktiert hatte. Wenn es ein Wissen gab, das mich vor der Blindheit erretten konnte, dann war es in diesem Papyrus zu finden.
    Ich reiste unter dem Vorwand, den ich auch dir genannt habe, zum Ort der Wahrheit. Ich wollte Kenherchepeschef irgendwie dazu bringen, mir das Traumbuch zu überlassen. Doch der Erste Schreiber lachte mich nur aus, als ich ihn höflich darum bat.«
    Der Priester schloss seine blinden Augen und ballte seine Hände zu Fäusten. »Ich habe gebeten und gefleht, ihm abwechselnd Amuns halben Tempelschatz versprochen und ihm mit seinem ewigen Fluch gedroht – nichts konnte Kenherchepeschef erweichen. Er zeigte mir die Rolle, doch er ließ sie mich nie weiter lesen als bis zu den ersten Sprüchen, die mir, was er genau wusste, nicht halfen.«
    »Das überrascht mich nicht«, warf Rechmire ein. »Kein Sammler gibt einen seiner Schätze gerne wieder her. Und Kenherchepeschef war ein besonders besessener Sammler.«
    »Es war nicht die Leidenschaft, die ihn an diesen Papyrus gefesselt hatte, es war die Angst – genau wie bei mir.« Kaaper schüttelte traurig den Kopf. »Kenherchepeschef fürchtete sich vor Sehakek und den anderen Dämonen, die ihn jede Nacht heimsuchten und ihm wilde Albträume brachten. Er hoffte, wie ich, im Traumbuch des Chnumhotep einen Weg aus seiner Qual zu finden.«
    »Hat er ihn gefunden?«
    Der Priester lachte kurz und hart auf. »Nein. Am Abend vor seiner Ermordung beklagte sich Kenherchepeschef bei mir, dass das Traumbuch des Chnumhotep wertlos sei wie ein undichter Schlauch aus Ziegenleder. Dort gebe es nichts, was irgendeinem Menschen helfen könne. Kenherchepeschef sagte, dass es nur noch einen anderen Weg für ihn gebe, seinen Albträumen zu entkommen und dass er diesen Weg nun gehen wolle. Er verriet mir keine Einzelheit seiner Pläne, doch es war klar, dass sie nichts mehr mit dem Traumbuch des Chnumhotep zu tun hatten. Er klang wahrhaftig sehr enttäuscht. Ich pflichtete ihm bei, doch mein Herz jubelte. Und ich war so besessen von dem Buch und so sicher, dass ich dort die Weisheiten finden würde, die Kenherchepeschef versagt geblieben waren, dass ich einen verwegenen Plan fasste.«
    Kaaper lächelte matt. »Du hast Recht, Rechmire: Ich hatte Jahre Zeit, mich an mein schwindendes Augenlicht zu gewöhnen, weshalb ich in der Dunkelheit so sicher bin wie eine Hyäne oder ein Skorpion. Aber ich war in jener Nacht nicht in Merenptahs Grab – ich war in Kenherchepeschefs Haus. Der Erste Schreiber hatte mir ja selbst gezeigt, wo er das Traumbuch des Chnumhotep verwahrte. Also wartete ich die vierte Stunde der Nacht ab, dann schlich ich mich zu ihm. Ich

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