Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
stopfte er sich zwei große Zwiebeln auf einmal in den Mund und stand dann langsam auf.
»Ich bin Djehuti, Führer der Medjai von Set-Maat. Was willst du von mir, Schreiber des Tschati?« Seine Stimme war dunkel und tief.
Rechmire war versucht, sich wegzudrehen und die Nase zuzuhalten, als er den Atem des Soldaten spürte. Doch er bezwang sich und blieb höflich.
»Da du mich schon kennst«, begann er, »muss ich dir nicht erst umständlich erklären, was ich am Ort der Wahrheit suche – nämlich die Wahrheit. Die Wahrheit darüber, wer Kenherchepeschefs Ka aus seinem Körper gestoßen hat.«
Djehuti lachte dröhnend und auch einige seiner Medjai, die sie im Halbkreis umstanden, feixten und flüsterten.
»Du wirst im ganzen Lande Kemet nirgendwo so viele Lügen finden wie am Ort der Wahrheit!«, höhnte der Nubier. »All diese Gräber sind voll von Bildern und Texten mit frommen Beteuerungen, idyllischen Szenen und den rührendsten Darstellungen von Familien, die sich heiß und innig lieben. Doch du weißt noch besser als ich, Schreiber, dass diese Bilder oft die Götter täuschen sollen. Es sind nur Illusionen und das Leben, das die Toten einst führten, hatte ganz anders ausgesehen: voller Hass, Missgunst und böser Rede.«
»Sprich nicht so von unseren Herren, die zu Amun gegangen sind«, entgegnete Rechmire zornig. »Außerdem rede ich nicht von einem Bild an der Wand eines Grabes, sondern von einem Mord, der dort geschah, wo du eigentlich hättest wachen sollen.«
»Die Menschen des Dorfes trauen uns nicht. Kenherchepeschef hat schon vor vielen Jahren die Regel eingeführt, dass jede Nacht ein Arbeiter vor einem offenen Grab wachen muss. Scheint so, als hätte es ihm nicht viel genutzt.«
Die Medjai lachten wieder, doch Rechmire spürte, dass hinter ihrer rauen Verachtung etwas anderes lag: Angst.
»Warum hat der Wächter in der Mordnacht nichts gemerkt?«, fragte er.
»Er hat geschlafen«, antwortete der Nubier und spuckte die Worte förmlich aus. »Der hätte nicht einmal gemerkt, wenn Ramses zurückgekehrt und über seinen Leib hinweg mit seiner gesamten Armee noch einmal gegen die Hethiter gezogen wäre. Wir brauchten am Morgen nach der Tat fast eine Stunde, bis wir den schnarchenden Mann mit Hieben und vielen kalten Wassergüssen zu sich gebracht hatten. Er war vollkommen betrunken.«
»So ein Zufall«, murmelte Rechmire und dachte für einen Augenblick nach, bevor er fragte: »Wo ist der Wächter jetzt?«
»Wir haben ihn ordentlich durchgeprügelt und dann ist er zum Nilufer gegangen. Oder besser gesagt: Zwei Sklaven haben ihn getragen, denn er konnte nicht mehr aus eigener Kraft gehen.« Djehuti lächelte böse.
Rechmire wusste, was viele einfache Menschen in den Beiden Reichen damit meinten, wenn sie davon sprachen, »zum Nilufer zu gehen«: auf ein Schiff gezerrt zu werden, das sie nach Theben brachte, wo sie vor dem Gericht des Tschati erscheinen mussten – um nie wiederzukehren. »Zum Nilufer gehen« bedeutete, für immer bei den Krokodilen oder in einem Bergwerk der Wüste zu verschwinden. Er würde den Wächter niemals mehr befragen können.
»Und warum konnte Kenherchepeschef das Dorf überhaupt verlassen?«, setzte er nach. »Das Tor wird doch nachts verschlossen. Und dafür war doch nicht ebenfalls der betrunkene Arbeiter verantwortlich?«
Djehutis hinterhältiges Grinsen erlosch und machte einer lauernde Miene Platz. »Nein«, entgegnete er ruhig, »für das Tor sind wir verantwortlich.«
Die anderen Medjai hörten schlagartig auf zu lachen. Zwei scharrten mit den Füßen, einer stopfte sich betont langsam eine Zwiebel in den Mund und spuckte dann ein Stück durchgekaute Haut auf den Boden, ein anderer spielte mit seinem blank polierten Dolch.
Rechmire schloss für einen winzigen Augenblick die Augen und beschloss, sich nicht einschüchtern zu lassen. »Wie also konnte Kenherchepeschef einfach aus dem Dorf verschwinden, ohne dass ihr ihn wenigstens nach dem Grund für seine nächtliche Reise gefragt hättet?«
»Er war der Erste Schreiber«, antwortete Djehuti leise.
»Kenherchepeschef war der Herr des Dorfes, er konnte tun und lassen, was er wollte. Er fragte niemanden um Rat und behandelte alle Menschen hier so, als seien sie seine persönlichen Diener. Und selbstverständlich hatte er als einziger Mann im Dorf einen Schlüssel zum Tor. Er konnte gehen, wann und wohin er wollte.«
»Und niemand von euch hat ihn gesehen«, sagte Rechmire mit ätzendem Spott in der Stimme.
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