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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Männer aus dem Abraum hatte aussuchen müssen. Er würde darauf auch, wie es andere Schreiber und die Zeichner ebenfalls taten, Notizen gemacht, Entwürfe skizziert und Briefe an den Tschati und die Verwalter Pharaos, Vorratslisten und andere wichtige offizielle Schreiben vorformuliert haben, damit sie später keine Fehler enthielten.
    Rechmire kroch auf den Knien über den Abraum. Er entdeckte Skizzen von Osiris- und Amunköpfen, die sich offensichtlich ein Zeichner gemacht hatte, bevor er es gewagt hatte, die Bilder der Götter an die Wände zu malen. Aber er entdeckte auch grobe, schnell hingeworfene Bilder von fetten Pavianen und Krokodilen mit aufgerissenem Maul. Auf einem etwas mehr als handgroßen, flachen Splitter war mit schwarzer Tinte ein Mann abgebildet, der im Stehen eine tief gebückte Frau von hinten nahm. Vor dem Kopf der Frau stand eine Kolumne flüchtig hingepinselter Hieroglyphen: »Erfüllt ist der Wunsch meiner Haut.«
    Er dachte an Sennodjems Behauptung, dass fast jeder Mann am Ort der Wahrheit lesen und schreiben konnte. Man musste die Hieroglyphen schon ziemlich gut beherrschen, wenn man mit ihnen flüchtige erotische Skizzen kommentierte.
    Rechmire warf die Liebesdarstellung achtlos wieder weg, wobei die Steinscheibe in zwei Teile zerbrach. Dann suchte er weiter. Und schließlich hatte er Erfolg: Er fand fünf Kalksteinscherben mit Kenherchepeschefs großer, grober Handschrift. Sie lagen praktisch nebeneinander nur wenige Ellen unterhalb des Felsensitzes, so, als wären sie zusammen weggeworfen worden. Drei waren Entwürfe für einen Brief an den Tschati, in denen der Erste Schreiber jeweils leicht abgewandelte, lange ehrenhafte Anreden für Mentuhotep formuliert hatte – offensichtlich, um einzuschätzen, in welcher von ihnen sich die Hieroglyphen am elegantesten zu kleinen Gruppen zusammensetzen ließen.
    Auf einen Splitter hatte Kenherchepeschef nur einen Satz geschrieben: »Ich weiß alles über dich.«
    Auf der Rückseite stand, in einer anderen, sehr sauberen Handschrift, die Rechmire vage bekannt vorkam, ohne dass er sich erinnern konnte, wo er sie schon einmal gelesen hatte, ein Name in roter Tinte: »Es lebt Re, der Herrscher der beiden Horizonte, der frohlockt im Horizont, in seinem Namen als Vater des Re, der gekommen ist als …«
    Das letzte Wort war offensichtlich absichtlich mit dem Daumen oder einem Tuch abgewischt worden. Die Hieroglyphen wurden von der Königskartusche umfasst, doch Rechmire hatte noch nie von einem Pharao gehört, der einen derartigen Namen geführt hätte. Vielleicht hatte dies etwas mit Kenherchepeschefs Interesse an längst vergangener Geschichte zu tun und dies war der Name eines Herrschers, der schon vor Jahrhunderten in den Westen eingegangen war.
    Als er den fünften Steinsplitter höher hob, um ihn im Mondlicht besser lesen zu können, pfiff er leise durch die Zähne.
    »Wenn sich ein Mann in seinem Traum sieht, wie er einen alten Mann zum Haus der Ewigkeit trägt – gut. Es bedeutet baldigen Reichtum.«
    Ein Spruch aus dem Traumbuch des Chnumhotep. Bedeutete dies, dass Kenherchepeschef es gewagt hatte, dieses legendenumwobene Werk sogar hier zu lesen, vor dem Grab des Pharaos, wo jeder seiner Männer zumindest einen Blick darauf hätte werfen können? Von Arbeitern, die selbst alle so gut die Hieroglyphen beherrschten, dass sie sogar flüchtige erotische Skizzen mit ihnen beschriften konnten? Und wenn dabei einer von ihnen erkannt hatte, in welcher Buchrolle der Erste Schreiber las? Oder hatte Kenherchepeschef einen Spruch aus dem Gedächtnis zitiert – den Splitter aber später zusammen mit veralteten Briefentwürfen achtlos auf die Geröllhalde geworfen, wo ihn vielleicht schon jemand vor Rechmire entdeckt hatte? Und hatte dieser Unbekannte dadurch erst erfahren, welchen Schatz der Erste Schreiber in seinem Haus der Bücher verbarg?
    Rechmire nahm alle fünf Steinscherben und steckte sie in einen kleinen Lederbeutel, den er an einer dünnen, geflochtenen Binsenschnur um den Leib gebunden hatte. Er hatte nicht das entdeckt, was er gehofft hatte, doch er hatte etwas gefunden, von dem er vage spürte, dass es ihn in seinen Nachforschungen weiterbringen könnte.
    Vorsichtig machte er sich auf den Rückweg. Er bog vom engen Seitental, in dem Merenptahs Haus der Ewigkeit lag, in das Haupttal. Plötzlich hielt er inne. Es war noch immer kein Laut zu vernehmen. Er blickte sich um. Das Tal wirkte im grauen Mondlicht wie von allen Göttern und Menschen

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