Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Jetzt aber wünschte er sich, dass die Nacht im Lande Kemet so schnell käme wie in der unendlichen Wüste des Südens. Mit der einsetzenden Dunkelheit verschwanden die Kinder von den Dachterrassen und kurz nach ihnen die Frauen und Sklavinnen. Doch manche Männer blieben noch sitzen und sogen Bier durch dünne Trinkhalme aus großen irdenen Krügen.
Er fröstelte im Nachtwind und zog sich einen leichten wollenen Umhang über die Schultern. Tamutnefret hatte er mit einem Kopfnicken entlassen. Sie schlief bereits – er konnte ihre regelmäßigen Atemzüge durch die Fensterschlitze der kleinen Kammer bis hinauf auf die Dachterrasse hören. Auf manchen Häusern flackerten die gelblichen Schimmer von Öllampen und Fackeln in der Brise. Undeutlich waren dort sitzende Gestalten auszumachen. Von irgendwo her erklang ein Lachen.
Nach ungefähr einer Stunde ging der Mond auf. Es war Halbmond, aber dank der klaren Wüstenluft immer noch hell genug, um die Umrisse der nächstgelegenen Häuser und die Schemen einiger hockender Männer zu erkennen.
Rechmire musste lange warten, bis er schließlich glaubte, der einzige Mensch zu sein, der noch auf seiner Dachterrasse ausharrte. Die Lichter im Dorf waren gelöscht worden, die Häuser lagen schweigend und dunkel da wie quadratische Würfel aus Felsgestein, die ein Riese mit einem großen Becher hier ausgeschüttet hatte. Auch das Quartier der Medjai am Nordtor war schwarz.
Er erhob sich und tastete sich vorsichtig die Leiter hinunter. Wenige Augenblicke später stand er vor seinem Haus auf der Straße und drückte sich an die Wand, um nicht aufzufallen. Rechmire hatte beschlossen, sich in dieser Nacht in das Tal der toten Pharaonen zu schleichen.
Er nahm nichts mit und hatte auch keine genaue Vorstellung davon, was er dort eigentlich zu suchen hatte. Er hoffte einfach nur, dass er dort etwas finden, dass er vielleicht gar jemanden beobachten würde – dass er in der Nacht vielleicht die entscheidende Spur entdeckte, die aufzutun ihm am Tage bis jetzt die Götter verwehrt hatten. Zumindest bei Kenherchepeschef wusste er, dass er irgendetwas Verbotenes im Tal getan hatte, und bei Sennodjem und Parahotep hatte er den Verdacht, dass auch sie die dunklen Stunden nicht schlafend auf ihren Lagern verbrachten.
Rechmire schlich sich, immer an den Hauswänden entlanggedrückt, bis zur nächsten Seitengasse, die auf die Mauer zuführte. Der Halbmond schien nicht bis in diese Gasse, sodass er sich dort seinen Weg mit den Fingern ertasten musste, bis er den bröckelnden Putz an der Innenseite der Mauer auf seinen Fingerkuppen spürte. Die Ziegel darunter waren nicht besonders sorgfältig vermauert, sodass es kleine Vorsprünge gab, wo ein Stein nicht sauber eingepasst worden war, außerdem Ritzen und faustgroße Nischen, wo im Laufe der Jahrhunderte Mörtel herausgefallen war. Er ertastete sich die ersten Unregelmäßigkeiten und zog sich an ihnen hoch, als würde er eine unbequeme Leiter erklimmen. Zunächst musste er blind vorankommen, die schmerzenden Füße in winzige Ritzen gequetscht, die Linke umklammerte einen bröckelnden Ziegel (und er betete zu Thot, dass der Stein halten möge), während er mit der Rechten über seinem Kopf nach dem nächsten Vorsprung oder einer Mulde tastete. Nachdem er mehr als seine eigene Körperhöhe bereits erklommen hatte, ging es leichter weiter, weil das Mondlicht auf die oberen Bereiche der Mauer fiel und er zumindest erahnen konnte, wo er den nächsten Griff ansetzen musste. Allerdings war ihm auch nur zu deutlich bewusst, dass er selbst jetzt ebenfalls als dunkler Schatten auf der Mauer viele Ellen weit zu erkennen war.
Er verdoppelte seine Anstrengungen. Der Schweiß strömte aus seinem Körper wie Wein aus einer rissigen Amphore, sein Griff wurde unsicher, weil seine Handflächen feucht geworden waren. Einmal brach ein Ziegel mit einem leisen Knacken ab und für einen schrecklichen Augenblick lang schien es ihm, als würde er zwischen Himmel und Erde schweben, dann krallte er sich wieder in die Mauer. Keuchend rang er nach Atem, während er bewegungslos auf verdächtige Geräusche lauschte. Dann zog er sich mit schmerzenden Armen und Beinen weiter hoch.
Als Rechmire endlich auf der Mauerkrone lag, tanzten rote Schleier vor seinen Augen und sein Atem raste wie der eines Rudersklaven, der eine Galeere ohne die Kraft des Windes gegen die Strömung des Nils antreiben musste. Doch er gönnte sich keine Erholungspause, weil er dort oben lag wie auf
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