Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
einem jener silbernen Tellern, auf denen siegreiche Feldherren dem Pharao die abgeschlagenen Köpfe aufständischer nubischer oder libyscher Fürsten präsentierten.
Er schwang sich über die Außenseite und ließ sich langsam herab. Zunächst kletterte er tastend nach unten, wie er zuvor hochgekommen war, doch als er glaubte, tief genug gekommen zu sein, ließ er sich einfach fallen.
Er keuchte, als er hart auf dem felsigen Boden aufschlug. Sein linkes Bein schmerzte, nachdem er sich taumelnd wieder aufgerichtet hatte, doch es schien nichts gebrochen zu sein. Rechmire fragte sich allerdings, ob er es später schaffen würde, auf dem gleichen Wege auch wieder zurückzukehren. Danach ging es einfacher. Der Pfad zum Tal war klar zu erkennen. Er vermied es jedoch, sich mit der Hand an Felsen abzustützen oder sich irgendwo auszuruhen, weil er Angst vor Schlangen und Skorpionen hatte, die im bleichen, diffusen Licht für ihn unsichtbar blieben.
Rechmire kam gut voran, bis er die Hütten vor sich sah, in denen die Männer die Nächte ihrer Arbeitswochen verbrachten. Er wollte einfach durch das ärmliche Lager gehen, als er plötzlich glaubte, flüsternde Stimmen zu hören. Er vergaß seine Furcht vor Schlangen und Skorpionen und warf sich hinter den nächsten Felsen. Er sah tanzende Schatten in der Luft und hörte den Atem Sehakeks in seinem Nacken. In Panik griff er sich einen Stein und wirbelte herum. Nichts.
Er atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. Dann lauschte er, doch er konnte nichts hören außer dem leisen Rumpeln von Geröll, das irgendwo in einem weit entfernten Nebental zu Boden rutschte und dem ununterbrochenen Pfeifen des Nachtwindes, der durch einen geborstenen Felsen strich.
Vorsichtig schlich er weiter. Der Schweiß trocknete auf der Haut und ihn fröstelte. Der Weg führte nun hinab in das Tal, in dem die Pharaonen für alle Zeiten ruhten. Im bleichen Licht verwandelten sich die Felsen in die Köpfe der Götter. Rechmire sah den ibisköpfigen Thot, der mit seinem Schnabel vorwurfsvoll genau auf ihn zu weisen schien; er erblickte den Horusfalken und die löwenköpfige Sechmet; Sobek hatte seinen Krokodilrachen aufgesperrt, die Nilpferdgöttin Bes hockte fett und bedrohlich oberhalb des Weges auf einer Anhöhe; Heket, die Froschköpfige, lauerte in einem schmalen Seitental und ein riesiger Skarabäus versperrte den Zugang zu einer Felsspalte. Überall lauerte Anubis, der schakalköpfige Wächter der Mumien. Und über allem thronte Meretseger, die das Schweigen liebt und das Ka eines jeden Eindringlings auslöscht wie eine Fackel, die in ein Wasserfass getaucht wird.
Rechmire hielt inne. »Du bist kein abergläubisches Waschweib vom Hafen!«, flüsterte er sich zu. Es tat gut, die eigene Stimme zu hören.
Trotzdem wäre er vor Schreck beinahe gestorben, als irgendwo dicht über ihm eine Hyäne bellte. Es klang abgehackt, als würde man zwei Steine ein paar Mal heftig aufeinander schlagen, böse und zornig; dann ging das Bellen in ein kurzes Heulen über, das klang wie der Schmerzensschrei eines kleinen Kindes. Abrupt brach die Hyäne ihr Geheul ab.
Die plötzliche Stille erzeugte ein Dröhnen in Rechmires Ohren. Vergeblich sah er sich nach dem Tier um. Er fragte sich, warum die Hyäne gebellt und geheult hatte.
Er entdeckte die kleine Festung der Medjai erst, als er beinahe schon gegen sie gelaufen wäre. Das Haus war dunkel und still. Rechmire lauschte lange, doch er konnte noch nicht einmal ein Schnarchen oder die anderen leisen Geräusche vernehmen, wie sie für Schläfer typisch sind. Vielleicht war das Quartier nicht besetzt, weil die Wächter nach dem Tod des Kenherchepeschef in der Nacht noch furchtsamer geworden waren und es jetzt nicht einmal mehr wagten, hinter wohlverschlossenen Mauern die Stunden der Dunkelheit im Tal der toten Pharaonen zu verbringen. Rechmire ging allerdings kein Risiko ein, sondern schlich sich so leise wie möglich im Schatten einer steil aufragenden Klippe an der schwarzen Festung vorbei.
Schließlich erreichte er den Talgrund und atmete auf. Nun ging es einfacher weiter, er musste nicht mehr alle seine Sinne auf den abschüssigen Weg konzentrieren und konnte deshalb mehr auf die Umgebung achten. Vorsichtig schlich er sich bis zum Eingang des Seitentals, an dessen Stirnseite das neue Grab entstand. Er ging hinter einem großen Stein in Deckung und lauschte wieder. Es war vollkommen still, sodass ihm das Rauschen seines eigenen Blutes wie Trommelschlag im Ohr
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