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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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aus seinem Gesicht. Die Spitze hatte sich mit Blut gefüllt und war dunkelrot angelaufen, was Rückschlüsse auf seinen Weingenuss und/oder den Grad seiner sexuellen Erregung nahelegte. In der Literatur wurde häufig auf die Analogie zwischen Mund und Scheide hingewiesen. Igraine leckte sich immer wieder über die Lippen und zeigte ihrem Gesprächspartner beim Lachen ihre rosa Mundhöhle, was einer Einladung gleichkam, mit Blicken in sie einzudringen. Bei ihrem lebhaften Gespräch kamen sich Danieles dunkelviolette Nase und Igraines feuchte Lippen immer wieder so nahe, dass Otto irgendwann nicht mehr hinschauen konnte.
    Daniele konnte nicht wissen, in welchem Verhältnis er zu Igraine stand. Dem früheren Großwildjäger war daher kein Vorwurf zu machen, aber bei Igraine verhielt sich das schon anders. Sollte er sie zur Rede stellen? Er würde gerne wissen, was ihren Sinneswandel bewirkt hatte. Letztendlich entschied er sich dagegen. Gefühle konnte man nicht erzwingen, und wenn sie auf einen Mann wie Daniele Vicente flog, war sie sowieso nicht die richtige Frau für ihn.
    Es war halb elf Uhr abends, als sich die beiden Turteltauben als erste Gäste verabschiedeten. Daniele gab vor, einer gesellschaftlichen Verpflichtung in der Stadt nachkommen zu müssen, und Igraine behauptete, von der Ausstellungseröffnung noch ganz erschöpft zu sein.
    Otto war viel zu stolz, um sich seine Enttäuschung anmerken zu lassen. Er bedankte sich für ihr Erscheinen und bat Daniele, Igraine nach Hause zu bringen, damit sie nicht alleine durch die Dunkelheit gehen musste. Der sagte ihm das mit einem anzüglichen Augenzwinkern zu.
    Als die beiden die Terrasse verlassen hatten, musste sich Otto am Likörkasten festhalten, um sich wieder zu ordnen. Dann schnappte er sich eine Flasche Cointreau und zwei Gläser und begab sich zum Klavier, wo Moses gerade versuchte, ein Hererolied zu vertonen, das ihm Ferdinand Semôndscha, Josaphat Kamatóto und Titus Huáraka vorsangen.
    Otto schenkte den Likör in die Gläser und reichte eines seinem Leibdiener. »Ich möchte mit dir anstoßen«, sagte er. »Heute war ein guter Tag. Heute haben wir Professor von Trittin eine Lektion erteilt. Auf unseren Sieg!«
    Tiergarten
    Der Mond stand schon hoch über dem Tiergarten, als er den leblosen Körper unter den Achseln griff und ihn zum Opferstein schleifte. Er hatte gleich gewusst, dass vor vielen hundert Jahren, lange bevor die Kurfürsten von Brandenburg hier auf Jagd gegangen waren, dieser heilige Hain den Germanen als Thingstätte gedient hatte. In der kreisrunden Formation der Feldsteine, auf der leichten Bodenerhebung und unter den Gerichtslinden hatten sie Recht gesprochen – und er hatte die alte Sitte wieder zum Leben erweckt.
    Er wuchtete den Hereroprinzen, den er vor dem Mietshaus von Benediktine Wolf betäubt hatte, auf den Opferstein und setzte sich einen Moment hin, um wieder zu Kräften zu kommen. Vor zwei Tagen hatte ein Kanten Brot nach Arsenik geschmeckt. Seitdem hatte er keine feste Nahrung mehr zu sich genommen. Zwar ermüdete er schneller als gewöhnlich, aber er fühlte sich stark genug, um den Plan zu vollenden. Er musste jetzt hart gegen sich selbst bleiben.
    Als er in den Sternenhimmel schaute, ragten die knorrigen Äste eines abgestorbenen Baumes wie die Arme der heldenhaft gefallenen Germanen empor. Fast meinte er, sie an der Tafel sitzen zu sehen. Mit Schädeln stießen sie an und sangen mit rauen Stimmen ihre Lieder. Sie hatten das irdische Jammertal überstanden und ihren gerechten Lohn eingestrichen. Probeweise reckte auch er seinen Arm in die Nacht, aber es fühlte sich falsch an. Er musste sich den Platz noch verdienen.
    Plötzlich hörte er ein Rascheln im Buschwerk. Er erschrak und befürchtete für einen Moment, dass sie ihn aufgestöbert hatten. Dann entdeckte er jedoch eine Maus, die einigen Hindernissen auswich und wieder in der Dunkelheit verschwand. Ihm fiel auf, dass er sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen hatte. Das war verdächtig. Planten sie wieder einen heimtückischen Anschlag? Damit musste man bei ihrer Katzenart immer rechnen. Es war besser, wenn er keine weitere Zeit vergeudete.
    Er hatte alles schon bereitgelegt und griff nach der scharfen Schere, um dem Hereroprinzen die Kleidung vom Leib zu schneiden. Nachdem er das Jackett und das Hemd entfernt hatte, sah er an der Bewegung des Brustkorbs, dass er noch lebte. Dieses Mal hatte er das Chloroform richtig dosiert. Er musste nur aufpassen, dass

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