Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
erpresst.«
»Hat die Erpressung mit den Ritualmorden zu tun?«
»Der Gegenstand liegt eher, äh, im persönlichen Bereich, jedenfalls auf den ersten Blick, aber man weiß ja nie, was noch kommt.«
»Aha«, sagte Otto und nahm davon Abstand, weiter nachzuforschen. Manchmal war es besser, wenn man nicht alles wusste.
»Ich kann Ihnen versichern«, sagte der Commissarius, »dass Sie sich keines Vergehens schuldig machen müssen. Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort. Sie müssen sich auch keiner Gefahr für Leib und Leben aussetzen. Ich möchte Sie nur bitten, dass Sie mir Ihre Beobachtungsgabe zur Verfügung stellen.«
Otto kannte den Commissarius seit sechs Jahren und hegte nicht den geringsten Zweifel an seiner Integrität. Ohne lange zu überlegen, gab er sein Einverständnis.
Kurz darauf eröffnete er das Büfett. Nachdem alle gegessen und den Tischweinen zugesprochen hatten, entwickelte sich eine zwanglose Gesellschaft. Sie trugen das Klavier aus dem Salon auf die Terrasse, und Moses spielte Gassenhauer wie »Im Grunewald ist Holzauktion« oder »In Rixdorf is Musike«. Außerdem stimmte er Shantys, Auswandererlieder und Operettenmelodien an. Die übermütigen Studenten forderten sich gegenseitig zu volkstümlichen Tänzen auf. Die Hereros wurden misstrauisch und neugierig beäugt. Vielleicht hielten sie sich deshalb etwas abseits, aber als Otto sich nach ihrem Befinden erkundigte, streichelten sie ihm über den Unterarm und gaben ihm so zu verstehen, dass sie sich sehr wohlfühlten.
Otto hatte die ganze Zeit Blickkontakt zu seinem Hausmädchen gehalten, um sofort über Igraines Ankunft informiert zu werden. Es war bereits neun Uhr abends, als sie endlich als letzter Gast eintraf. Sie wirkte zerstreut und erweckte den Eindruck, als hätte sie sich erst im letzten Moment an die Einladung erinnert. Ihre Haare waren zerzaust, auf den Einsatz von Kosmetika hatte sie verzichtet. Sie trug ein schlichtes schwarzes Hauskleid und hatte zahlreiche Farbkleckse auf dem Handrücken. Sie lächelte mehr aus Verlegenheit denn aus Wiedersehensfreude. Erst als sie gemeinsam auf die Terrasse traten und sich zu den anderen Gästen gesellten, hellte sich ihre Miene auf.
»Ich wusste ja gar nicht, dass du Daniele Vicente kennst«, sagte Igraine.
»In Afrika waren wir Reisege–«, erwiderte Otto und unterbrach sich, weil sie schon zu dem Großwildjäger ging und ihn herzlich begrüßte.
Otto dachte, dass die beiden sich von der Deutschen Kolonial-Ausstellung kennen mussten. Er folgte ihr und sagte: »Ich habe meiner Köchin ein Buch mit vegetarischen Gerichten gekauft. Die Mangold-Tarte, das Pilzragout und das Radieschengelee hat sie extra für dich zubereitet.«
»Ich hab schon gegessen«, sagte Igraine und wandte sich wieder Daniele Vicente zu. »Was ist aus der Audienz beim Kaiser geworden? Haben Sie endlich einen Termin erhalten?«
»Das ist nur noch eine Frage von Tagen«, erwiderte Daniele Vicente, rückte auf seinem Stuhl näher und zeigte seine blendend weißen Zähne.
»Ich schau dann mal nach den anderen Gästen«, sagte Otto und begab sich in den Garten, wo er über Igraines Verhalten nachdenken musste. Gestern Abend hatten sie zusammen im Kosthaus Schwarz gespeist und waren im Anschluss Richtung Wannsee gefahren. Nach seinem Empfinden war der Abend harmonisch, stimmungsvoll und ausgelassen gewesen. Bewertete Igraine ihr Treffen anders? Oder war sie seiner Gesellschaft schon überdrüssig?
Otto zündete die bengalischen Lichter an, die den Garten atmosphärisch illuminierten. Er stattete seinem Bruder einen Besuch ab, der auf dem Bootsanlieger an seinen Schwimmapparaten bastelte. Er schlichtete einen Streit zwischen zwei betrunkenen Seglerkameraden, die sich gegenseitig eines Regelverstoßes bezichtigten und sich hinterher versöhnt in den Armen lagen. Für die herumtollenden Kinder eines Nachbarn opferte er seine letzten Pralinenvorräte und tanzte mit Martha Kamatóto einen Walzer auf der Terrasse.
Das Fest wurde ein voller Erfolg, aber seine Freude hielt sich in Grenzen. Immer wieder schaute er zu Igraine und Daniele Vicente hinüber, die auf den Stühlen näher aneinandergerückt waren und die Welt ringsum vergessen hatten. Vom phänomenologischen Standpunkt war es unübersehbar, dass zwischen beiden eine große erotische Anziehung herrschte.
Jedermann kannte die Redensarten: »Wie die Nase eines Mannes, so auch sein Johannes!«, oder: »Ein großer Giebel ziert das Haus!«. Danieles Nase hob sich markant
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