Mord in Der Noris
voll, ohne bitter zu sein, und stark, ohne vordergründigen
Affekt. Da kann mein Kaffee aus der Maschine nicht mithalten. Einsame Spitze,
Frau Rupp. Die Mühe mit der Karlsbader Kanne lohnt sich wirklich.«
Sie zog den kleinen Gebäckteller, den Apolonia Rupp
direkt vor Heinrichs Kaffeetasse platziert hatte, zu sich und begutachtete
dessen Fracht, sechs verschiedene und übersichtlich arrangierte
Konditorpralinen. Nach einer kurzen Bedenkzeit entschied sie sich für die
Rumkugel mit der Pistazie als Dekor – und wartete auf Heinrichs erste Frage.
Sie musste sich nicht lange gedulden.
»Es mag Ihnen vielleicht ein wenig pietätlos
vorkommen, dass wir so kurz nach dem Mord an Ihrer Tochter schon wieder zu
Ihnen kommen, Frau Rupp«, begann Heinrich, »aber das lässt sich leider nicht
vermeiden. Sie sagten gestern sinngemäß zu Frau Steiner, dass Sie dieser Mord
gar nicht so überrascht habe. Dass Sie eigentlich damit im Grunde gerechnet
hätten.« Er sah sie fragend an.
»Ja, das ist richtig. Und pietätlos kommt mir Ihr
Besuch nicht vor, ganz und gar nicht. Sie tun doch auch nur Ihre Pflicht, nicht
wahr?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Frau Rupp fort: »Wissen Sie, das
Verhältnis zu meiner Erstgeborenen war nicht besonders gut, es war eigentlich
alles andere als gut – es war im Prinzip so gut wie nicht mehr vorhanden. Dafür
ist zu viel vorgefallen.«
Da Paula damit rechnete, dass sie den Grund für diese
auf Eis gelegte Mutter-Tochter-Beziehung bald erfahren würde, schwieg sie und
griff lieber zum zweiten Mal zu dem Pralinenteller. Ein Griff ins Ungewisse,
denn der geflockten Kugel mit ihrem Zartbittermantel sah man nicht an, was in
ihr steckte. Doch ihr Mut wurde belohnt – es war eine besonders delikate
Buttertrüffelpraline mit winzigen Orangenstückchen.
Während sie genüsslich auf dieser Köstlichkeit
herumlutschte, hakte Heinrich nach: »Möchten Sie uns sagen, was im Einzelnen
vorgefallen ist? Oder möchten Sie erst dann darüber reden, wenn Sie den Tod
Ihrer Tochter ein wenig verarbeitet haben?«
»Da gibt es nichts zu verarbeiten«, lautete die
heftige Antwort, die umgehend abgemildert wurde. »Vielleicht kommt Ihnen das
jetzt gefühlskalt von mir vor, Herr Bartels, aber ich kann es nicht ändern.«
Bevor er höflich widersprechen konnte, sprach Frau
Rupp weiter. »Ich habe zwei Töchter, beziehungsweise ich hatte zwei Töchter,
denn Elviras jüngere Schwester ist nun auch schon seit acht Jahren tot. Als
Elvira geboren wurde, ging es meinem Mann und mir finanziell sehr gut. Wir
führten ein großes Haus, jede Woche gaben wir zumindest eine Einladung. Wir
waren fester Bestandteil der Nürnberger Hautevolee. Natürlich geht so etwas
nicht ohne Personal, wir beschäftigten einen Gärtner, der gleichzeitig Chauffeur
war, Elvira hatte ein Kindermädchen, und auch sonst mangelte es ihr an nichts.
Mein Mann war in unsere Erstgeborene regelrecht vernarrt. Jeden Wunsch las er
ihr von den Augen ab – sie musste nur auf etwas deuten, schon bekam sie es.
Vielleicht war mein Fehler dabei, dass ich zugelassen habe, wie hemmungslos er
sie verwöhnte.«
Apolonia Rupp machte eine kurze Pause und sah so
erstaunt wie tadelnd zu Paula, die sich soeben die dritte Praline – einen Kegel
aus Mandelkonfekt in Vollmilchschokolade – in den Mund steckte.
»Die Folge war, dass Elvira keine Grenzen kannte.
Alles musste nach ihrem Kopf gehen, sie war ein verzogenes Gör von vorn bis
hinten!«
Harte Worte, die Heinrich gelegentlich mit einem
angedeuteten verständnisvollen Nicken begleitete. Erneute Pause.
»Als Claudia dann geboren wurde, mussten wir
kürzertreten. Die Geschäfte meines Mannes liefen schlecht. Von den ehemals fünf
Blumenläden war uns nur mehr einer geblieben, der in der Breiten Gasse, der
gerade das Nötigste zum Leben abwarf. Vielleicht sagt Ihnen Blumen Rupp ja
etwas?«, fragte sie Heinrich, der verneinend den Kopf schüttelte.
Paula jedoch erinnerte sich an diesen Laden in der
Nürnberger Innenstadt. Ihr Vater hatte ihrer Mutter dort jedes Jahr zu
Weihnachten deren Lieblingsblumen gekauft – einen großen Strauß gelber Mimosen.
Als Kind durfte sie ihn auf diesen Gang begleiten und war dann jedes Mal
erstaunt gewesen, dass ihr Vater so viel Geld für etwas bezahlte, das bereits
nach spätestens zwei Tagen verwelkt und unansehnlich im Mülleimer landete.
»Wir waren gezwungen, die Villa in Ebensee aufzugeben,
genau wie unser Personal. Es war alles sehr bescheiden von da an. Wir
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