Mord in Der Noris
schien, dass Apolonia Rupp mit
ihrer Rede fertig war. »Und Messies geben nichts her, die behalten alles für
sich selbst, auch Geld.«
»I wo, das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun«,
versetzte Frau Rupp schroff. »Das war auf der einen Seite ihr Geiz, und auf der
anderen Seite gab es diesen eklatanten Mangel an Disziplin, der dazu führte,
dass sie ihre Wohnung dermaßen vollgestellt hat. Das sind doch zwei unterschiedliche
Sachen. Aber alles das hätte ich noch hingenommen. Dann aber starb meine
Claudia«, sagte Apolonia Rupp, jetzt sanft und liebevoll, »wie gesagt, vor acht
Jahren. Und Elvira hat es nicht für nötig befunden, ihr die letzte Ehre zu
erweisen und zu ihrer Beerdigung zu kommen. Da war dann endgültig Schluss bei
mir.«
Da Heinrich schwieg, musste Paula nachfragen. Aber
erst nachdem sie Praline Nummer vier – einen Kubus aus weißer Schokolade,
gefüllt mit einem zarten Schmelz aus Vanillelikör – hinuntergeschluckt hatte.
»Sie haben sie doch sicher zur Rede gestellt. Was hat
sie denn als Grund angegeben, warum sie nicht gekommen ist?«
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. »Ach,
irgend so ein Larifari von wegen ›das würde sie so mitnehmen‹ und ›das helfe
jetzt auch nichts mehr, wenn sie auf die Beerdigung ginge‹. Alles faule
Ausreden. Sie wollte einfach nicht, ihr war der Tod ihrer Schwester egal,
vollkommen egal! Genau wie ihr Claudia schon immer egal gewesen ist.«
»Ja, das ist bitter«, sagte Heinrich verständnisvoll
und fügte nach einer Pause hinzu: »Wenn Sie uns dann bitte noch die Adresse
Ihres Schwiegersohns, also die von Claudias Mann, und Ihrer beiden Enkeltöchter
geben könnten?«
»Wozu soll das gut sein?«, lautete die Gegenfrage.
»Die werden Ihnen auch nicht mehr oder etwas anderes sagen können als ich. Ich
möchte nicht, dass meine Familie, die jahrelang wegen Elvira viel durchmachen
musste, jetzt nochmals wegen ihr belästigt wird. Außerdem wissen sie schon
Bescheid, ich habe sie im Anschluss an Ihren Besuch, Frau Steiner, gestern
Abend in Kenntnis gesetzt. Das erübrigt sich also.«
Es sah nicht so aus, als ob Heinrich diesen
grundlegenden Irrtum richtigstellen wollte. Und auch Paula erhob nicht gleich
Einspruch, wie sie das sonst immer und leidenschaftlich machte, wenn sich
jemand bei Vernehmungen störrisch zeigte. Denn im Laufe dieser bewegten und
aufschlussreichen Kaffeestunde war ihre vehemente Abneigung gegen die Mutter
der Ermordeten an den Rändern porös geworden. Sie sah Apolonia Rupp jetzt in
einem anderen, einem deutlich milderen Licht. Nicht mehr ausschließlich als
gefühlskaltes Monstrum. Auf der anderen Seite hatte aber auch ihre anfängliche
übergroße Sympathie für das Opfer ein wenig nachgelassen. Knauserige Menschen
waren ihr schon immer ein Gräuel gewesen. In diesem Punkt verstand sie Frau
Rupp in deren Empörung sehr gut.
Eine Szene kam ihr in den Sinn, ein Bild schoss ihr
fast gegen ihren Willen durch den Kopf: Eva Brunner, wie sie eines frühen
Morgens eine Flasche sündteuren Gutedel aus dem Rucksack holte, ihn ihr
freudestrahlend überreichte und auf ihre Nachfrage, womit sie sich das denn
verdient habe, zu einer ihrer gefürchteten weitschweifigen Antworten ansetzte.
»Ich weiß doch, dass Sie so gern Weißwein trinken,
Frau Steiner. Mein Papa, der auch viel von Wein versteht, also viel mehr als
ich, was aber auch nichts Besonderes ist, weil ich ja von Weinen nicht so viel
verstehe, na eigentlich gar nichts, da bin ich schon ehrlich, also mein Papa
meinte auch, wenn deiner Chefin in der Richtung was schmeckt und ihrer als
Weinkennerin würdig ist, dann ist es dieser …«
Eine Morgengabe nur so, ohne Anlass und
Hintergedanken. Ja, Eva Brunner gab gern, teilte ihr karges Anwärterinnengehalt
freigiebig mit anderen. Diese auch emotionale Rückschau schwächte Paulas
Boykott. Sie hatte sich doch verboten, die nächsten Tage an diese Person zu
denken! Das ließ sie ärgerlich werden, wobei sich der aufkeimende Ärger nicht
etwa gegen die abwesende Anwärterin richtete, sondern jetzt und hier gegen Frau
Rupp.
Ungehalten mischte sich Paula, die sich im Gegensatz
zu Heinrich bei Zeugenvernehmungen schon vor Jahren vom Diktat einer
immerwährenden Freundlichkeit losgesagt hatte, also in dessen Befragung ein.
»Bei Mord befragen wir immer die nächsten Angehörigen.
Und wir werden auch in diesem Fall keine Ausnahme machen. Also bitte, die Namen
und Adressen.«
Eine Zeit lang sah es so aus, als würde Apolonia
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