Mord in Der Noris
ihr die Kündigung in Aussicht
gestellt?«
»Ja. Leicht ist mir das nicht gefallen …«
»Und am vergangenen Montag, hatte Frau Platzer da
Dienst?«
»Sie hätte Dienst gehabt, war aber wieder mal
krankgeschrieben.«
»Mal was anderes, Frau Striegel. Wie viel verdient
denn eine einundfünfzigjährige Pflegekraft bei Ihnen so im Schnitt?«
»Die Höhe des Gehalts hat weniger mit dem Alter zu
tun. Sondern mehr damit, wie lange jemand in diesem Beruf arbeitet. Bei Frau
Platzer waren es knapp zweitausendsiebenhundert Euro.«
Das überraschte Paula. Nach den zahlreichen und
kontrovers geführten Diskussionen in den Medien, die auch das mickerige Gehalt
von Pflegekräften streiften, hatte sie mit weniger gerechnet.
»Das ist ja ganz ordentlich. Davon kann man doch
einigermaßen anständig leben?«
»Na ja, viel ist es nicht«, entgegnete Irene Striegel.
»Wenn Sie nur an die körperliche Belastung denken. Das dauernde Heben, Lagern,
die ständige Bückerei. Das geht über kurz oder lang auf die Wirbelsäule. Hinzu
kommt noch die psychische Belastung, die die körperliche manchmal bei Weitem
übersteigt. In diesem Beruf hat man immerzu und ausschließlich mit dem Alter,
den Gebrechen und dem Tod zu tun. Das kann man nach Dienstschluss nicht einfach
abschütteln, das nimmt man zwangsläufig mit heim. Ich habe immer wieder
Mitarbeiter, die das überfordert, die diesen Stress nicht mehr packen. Die mir
dann offen ins Gesicht sagen, sie wollten nicht länger täglich nur alte Leute
um sich rumhaben. Und ich kann das gut verstehen.«
»Vielleicht war das bei Frau Platzer auch der Fall,
dass sie unter einem Burn-out-Syndrom litt, es aber nicht zugeben wollte?«
»Das glaube ich nicht«, widersprach Irene Striegel
sichtlich ungehalten und fast ein wenig ruppig. »Wenn Frau Platzer überhaupt
unter etwas zu leiden hatte, dann unter einem Cool-out.«
Auf Paulas fragenden Blick fügte die
Verwaltungsleiterin hinzu: »Das ist eine Art Selbstschutz der Seele. Man legt
sich ganz bewusst eine harte Schale zu, und dabei bleibt die Empathie ganz und
gar auf der Strecke. Das kann natürlich nicht in unserem Sinne sein, dass
unseren Pflegekräften das Wesentliche, um ihren Beruf optimal ausüben zu
können, fehlt. Eben das soziale Engagement. Es reicht nämlich nicht aus, nur
höflich, freundlich und fachlich top zu sein, man muss auch mit den Menschen
hier mitfühlen können, ihnen das Alter so angenehm wie möglich machen wollen,
das ist eine Grundvoraussetzung, dann erst ist man eine gute Altenpflegerin
beziehungsweise ein guter Altenpfleger.«
Die Ausführungen der Verwaltungsleiterin fielen bei
Paula auf fruchtbaren Boden: Jetzt empfand auch sie zweitausendsiebenhundert
Euro Monatslohn als viel zu wenig für jenes Zuviel, was in diesem Beruf
gefordert wurde.
»War Frau Platzer bei Ihren Bewohnern beliebt oder
eher nicht?«
»Eher nicht«, kam die Antwort wie aus der Pistole
geschossen, wurde aber umgehend abgemildert. »Wissen Sie, wir haben es hier mit
einer ganz besonderen Klientel zu tun. Auf der einen Seite sind einige unserer
Bewohner dankbar, wirklich dankbar für jedes nette Wort, das an sie gerichtet
wird. Andererseits gibt es viele, die in erster Linie den Pfleger für ihr Alter
und ihre Gebrechen verantwortlich machen. Da genügt schon ein einziges falsches
Wort, dann ist es ein für alle Mal aus mit einer gedeihlichen Beziehung. Und
Frau Platzer war sehr mit sich beschäftigt. Wenn sie sich ausnahmsweise zu
einer Unterhaltung mit unseren Bewohnern entschlossen hatte, dann sollte sich
diese auch unter anderem um sie selbst drehen. Wenn Sie verstehen, was ich
meine.«
Paula nickte. Verstand sie doch sehr gut, was die
Leiterin ihr damit andeuten wollte. Dass das Mordopfer nicht nur hochgradig
geizig und extrem unbeliebt, sondern auch eine Egoistin sondergleichen gewesen
war.
»Und davon einmal abgesehen, wie war sie sonst?«,
fragte sie weiter. »Erzählen Sie mir doch bitte, welchen Eindruck Sie von ihr
hatten.«
Irene Striegel zögerte lange.
»Was soll ich Ihnen da erzählen? Es ist schwierig,
einen Menschen zu beschreiben, den man nur an seinem Arbeitsplatz sieht. Im
Beruf kennt man meist ja nur eine Seite von ihm. Die andere, die private, kennt
man oft nicht so genau. Und privat habe ich Frau Platzer nie erlebt.«
Schließlich kam doch noch eine Beschreibung, wenn auch
wieder nur eine auf den Beruf bezogene.
»Jede unserer Pflegekräfte hat einen Generalschlüssel.
Das heißt: Sie kommen überall rein,
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