Mord in Der Noris
mit Müdsam wieder eingefallen war.
»Klaus, du weißt doch sicher, ob die Wohnungstür bei der Platzer offen stand
oder geschlossen war, während man mit dem Messer auf sie eingestochen hat.«
»Nein, woher soll ich das wissen? Wie kommst du
überhaupt da drauf?«
»Na, ich dachte halt, wegen der Blutspuren auf dem
Fußabstreifer.«
»Aber Paula, das wäre jetzt ein bisschen zu viel
verlangt. Da sind Blutspuren, ja, aber so exakt lässt sich das nicht
feststellen, ob die Tür während der Tat nun offen stand oder nicht.
Beziehungsweise wo der Fußabstreifer zu der Zeit lag, vor oder hinter der
Wohnungstür. Ist denn das so wichtig für dich?«
»Wie man es nimmt. Ich könnte daraus schließen, ob das
Opfer den Täter näher gekannt hat. Denn nach den Angaben der Nachbarin hat die
Platzer niemanden in ihre Wohnung gelassen. Aber egal. Wenn du es nicht weißt,
geht es auch ohne dieses Detail.«
»Davon bin ich bei dir überzeugt, Paula. Das war’s
also?«
»Ja, im Moment schon. Halt, nein, noch eine andere
Frage: Du wolltest doch zumindest die Diele genauer unter die Lupe nehmen, hast
du was gefunden?«
»Das hätte ich dir doch schon längst gesagt. Nein, wir
haben nichts gefunden.«
»Und die Wohnung habt ihr versiegelt?«
»Ja. Aber wir werden sie in den nächsten Tagen
freigeben. Du hast ja selbst gesagt, dass eine eingehende Spurensuche in den
anderen Räumen nichts bringen würde.«
»Der Meinung bin ich noch immer. Aber ich würde mich
gern noch mal in aller Ruhe dort umsehen. Sei also so freundlich und lass das
Siegel dran, wenn ihr endgültig damit durch seid.«
»Ja, mache ich. Holst du dir die Schlüssel bei mir ab,
oder soll ich sie dir mit der Hauspost schicken?«
»Schick sie mir bitte rauf.«
Dann legte sie den Hörer auf und sah Heinrich grübelnd
an. »Ich fürchte, das wird diesmal ein ganz vertrackter Fall.« Sie erzählte ihm
von Frieders neuen Erkenntnissen.
Heinrichs Kommentar dazu beschränkte sich auf ein
sibyllinisches: »Na, siehst du.«
»Was sehe ich, wie meinst du das?«
»Wie ich es vorhin schon gesagt habe: Deine Frau
Platzer muss ja ein besonderes Herzchen gewesen sein. Wenn sich gleich zwei
über sie hermachen. Da möchte man doch gern wissen, was die so alles auf dem
Kerbholz hat, dass …« Den Rest des Satzes ließ er unausgesprochen.
Genau das wollte sie auch: herausfinden, wie es zu
dieser Ausnahme-Konstellation – zweifacher Mord an ein- und demselben Opfer –
gekommen war. Aber aus anderen Gründen als Heinrich, der die Ermordete bereits
fest in eine Schublade eingeklemmt hatte. Sondern zum einen, weil sie die
Einzige zu sein schien, die an der Altenpflegerin überhaupt ein Interesse, wenn
auch nur eines auf den beruflichen Erfolg beschränktes, hatte. Zum anderen
deswegen, weil eine HB -Raucherin eine andere
nicht im Stich lässt.
Und schließlich gab es noch einen dritten Grund: weil
Elvira Platzer einundfünfzig Jahre alt gewesen war, als man sie umbrachte, und
damit genau in derselben Altersklasse, in der auch die Endvierzigerin Paula
demnächst nolens volens mitspielen würde.
4
»So, und jetzt fahren wir in das Altersheim,
wo die Platzer gearbeitet hat.« Sie stand auf und gab Heinrich ein Zeichen, ihr
zu folgen.
»Ja, und unser Mittagessen?«
»Das entfällt heute. Wir können ja unterwegs irgendwo
halten und uns eine Leberkäs-Semmel kaufen, wenn du so großen Hunger hast.«
»Ich habe um die Zeit immer großen Hunger«, mit
schwerem Schritt stapfte Heinrich hinter ihr die Treppe ins Erdgeschoss hinab,
»und zwar so großen, dass eine Leberkäs-Semmel dafür nicht ausreicht. Außerdem
ist das auch Fast Food, deutsches Fast Food zwar, aber trotzdem hochgradig
ungesund und überhaupt nicht für meinen empfindlichen Magen geeig…«
»Dann iss halt zwei Semmeln oder drei für deinen so
großen Hunger.« Den zweiten Teil seines Vetos ignorierte sie. Sie hatte sich
nämlich nach den Brunner’schen Eskapaden vorgenommen, ihren Laissez-faire-Stil
als Vorgesetzte vorerst auf Eis zu legen und stattdessen ab sofort die stramm
hierarchischen sowie vor allem intakten Befehlsstrukturen des Kollegen Trommen,
die in dem Moment einen großen Reiz auf sie ausübten, zu imitieren. Und dazu
gehörte ihrer Meinung nach eben auch, dass in ihrer Kommission nur sie die
Definitionsgewalt darüber hatte, wie ein »großer Hunger« am besten bekämpft
werden konnte und ob eine Leberkäs-Semmel nun ungesund war oder nicht.
Eine gute halbe Stunde später standen sie
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