Mord in Der Noris
vor dem
Philipp-Melanchthon-Heim in der Eichendorffstraße. Eine zahnpastaweiße Anlage
aus den sechziger Jahren, davor eine ansehnliche Linde, ein gepflegter
Grüngürtel aus Rasen und gestutzten Hecken, das Dach über dem Haupteingang
lagerte auf ebenfalls weißen, zierlichen Säulen. Lediglich die weit
geschwungene Auffahrt für Rollstühle an der rechten Seite deutete darauf hin,
dass es sich hier nicht um ein Hotel handelte, sondern um ein sehr gepflegtes
Seniorenstift, sprich: um ein besseres Altersheim.
Als sie die Stufen zum Eingang emporstieg, sagte sie
zu Heinrich, der ihr stumm folgte, er solle bei dem folgenden Gespräch
ausschließlich ihr das Wort überlassen. Diese Vernehmung werde sie führen, und
zwar sehr kompakt und sehr effizient, er möge sich da ganz raushalten.
Worauf Heinrich mit einem spöttischen Lächeln nur
erwiderte: »Jawohl, Chef, mach ich. Ist ja auch mehr dein
Zuständigkeitsbereich, altersmäßig gesehen, meine ich.«
Langsam drehte sie sich zu ihm herum und formte mit
spitzen Lippen ein stummes, aber deutliches »Arschloch«.
Links hinter der schweren selbst öffnenden Glastür
befand sich der Empfang des Heims, der mit seinem niedrigen Tresen und den
hellen Holzmöbeln eher einer Rezeption glich. Paula stellte sich und ihren
»Kollegen, Oberkommissar Bartels« vor, worauf eine freundliche Endvierzigerin
mit den prächtigsten goldblonden Locken, die sie je gesehen hatte, entsetzt von
ihrem Drehstuhl aufsprang.
»Oh mein Gott, ist etwas mit einem unserer Bewohner?«
Jetzt war es Paula, die ihrerseits überrascht war, und
zwar so, dass es ihr für einen Moment die Sprache verschlug. Das hatte sie
nicht erwartet; sie war davon ausgegangen, Frau Rupp hätte zwischenzeitlich
auch den Arbeitgeber ihrer Tochter über das Geschehene informiert, trotz der
heftigen Abneigung ihr gegenüber. Schließlich antwortete sie, nachdem sie das
Namensschild der Goldblonden, auf dem in großen Buchstaben »Irene
Striegel/Verwaltungsleiterin« stand, gelesen hatte.
»Nein, Frau Striegel. Wir sind nicht gekommen, um mit
Ihnen wegen eines Ihrer Bewohner zu sprechen, sondern wegen einer Ihrer
Mitarbeiterinnen. Vielleicht ist es besser, wenn wir irgendwo hingehen, wo wir
uns ungestört unterhalten können.«
Die Verwaltungsleiterin nickte. »Ich komme gleich, ich
muss nur noch den Kollegen Bescheid sagen.«
Während sie warteten, studierte Paula die Tafel mit der
Veranstaltungsliste des Heims. Da gab es ein Internetcafé mit monatlich
wechselndem Programm, ein Gedächtnistraining wurde angeboten, eine spezielle
Rückengymnastik, der Literaturkreis beschäftigte sich derzeit intensiv mit dem
Schweizer Schriftsteller Max Frisch, und der Künstler Sowieso – offenbar ein
Bewohner, der sein Atelier hier im Heim hatte – engagierte sich als Interpret
seiner Werke, die einer Sonderausstellung gleich im ganzen Haus an den Wänden
verteilt hingen.
Schließlich schlüpfte Frau Striegel hinter dem Tresen
hervor, führte sie über einen langen Gang mit blauen Bänken, blauen Handläufen
und blauem Teppichboden an etlichen großformatigen Bildern und Pflanzenkübeln
vorbei zum rückwärtigen Teil. Sie betraten gemeinsam den Innenhof des u-förmigen
Gebäudes – ein hübscher, an drei Seiten eingeschlossener Garten, in dem schon
die Traubenhyazinthen und Rhododendronbüsche in blauer Blüte standen. Auf der
geschützten Terrasse, die sich unter den Balkonen entlangzog, nahmen sie auf
schneeweiß gestrichenen eleganten Gartenstühlen aus verzinktem Eisen Platz. Die
Mittagssonne schien ihnen direkt ins Gesicht, dennoch war es hier im Freien
immer noch frisch.
Irene Striegel sah sie besorgt und mit einer Spur
Neugier an. Paula berichtete ihr von dem Mord an der Altenpflegerin Platzer.
Die Verwaltungsleiterin schlug sich die rechte Hand
vor den Mund und sagte dann fassungslos: »Das ist ja furchtbar. Ganz furchtbar.
Wer tut denn so was Schreckliches?«
»Um das herauszubekommen, sind wir unter anderem hier,
Frau Striegel.« Paula überlegte. Durfte sie bei der nun folgenden Befragung
ihrer wachsenden Neugier und Ungeduld nachgeben – oder musste sie der
kanonischen Fragenliste einer Hauptkommissarin den zeitlichen Vorzug geben? Sie
entschied sich kurzerhand für das Naheliegende, für ihre Neugier.
»Wussten Sie, dass Frau Platzer so etwas wie ein
Messie war, dass ihre Wohnung bis zur Unbewohnbarkeit vollgestellt war?«
Irene Striegel nickte kurz, bevor sie antwortete.
»Gewusst habe ich es nicht, aber
Weitere Kostenlose Bücher