Mord in Der Noris
Hauptkommissarin Steiner, die mich
zu so später Stunde noch sprechen möchte.« Seine Stimme war so leise wie
ausdruckslos.
»Ja, tut mir leid, Herr Schneider-Sörgel, dass ich Sie
jetzt noch stören muss. Aber wir von der Polizei können uns halt auch nicht
immer die Zeiten aussuchen, die unseren Zeugen genehm wären.«
»Dann zeigen Sie mir doch mal Ihren Ausweis, damit ich
Sie auch identifizieren kann.«
Sie überreichte ihm das Gewünschte. Nach einem
flüchtigen Blick darauf machte er einen Schritt zur Seite und ließ sie
eintreten. Ein großer, heller Wohnraum mit einer kleinen Sitzgruppe, einem
gemütlichen Ledersessel und einem Flachbildschirm an der Wand. Vor dem
gardinenlosen Fenster eine Staffelei mit der fast fertigen Ölzeichnung eines
Kleinkindes. Schneider-Sörgel wartete, bis sie auf einem der beigefarbenen
Stühle mit hoher Lehne Platz genommen hatte, dann setzte er sich ihr gegenüber.
»Ach, Sie sind der Künstler des Hauses, dessen Bilder
hier überall verteilt hängen. Sie bieten ja auch Führungen an.«
»Keine Führungen, Frau Steiner. Es handelt sich dabei
um eine Exegese meiner Werke, um Erklärungen und Interpretationen. Und jetzt
mal los, fragen Sie.«
»Ich bin wegen Frau Platzer da. Sie wurde vergangenen
Montag in ihrer Wohnung ermordet aufgefunden.«
Er quittierte diese Nachricht mit einem
millimeterkurzen Heben und Senken der Achseln. »Und jetzt wollen Sie wissen, ob
ich der Mörder bin und ob ich für die Tatzeit ein Alibi habe?«, sagte er
lächelnd und mit einer Stimme, die jede Betroffenheit vermissen ließ.
Sie schüttelte ebenso lächelnd den Kopf. »Nein. Es
geht um etwas anderes. Sie selbst wurden von Frau Platzer bestohlen, wie man
uns mitgeteilt hat. Vielleicht mag Ihnen das jetzt merkwürdig vorkommen, was
das eine – der Mord – mit dem anderen – dem Diebstahl – zu tun hat, aber ich …«
»Nein«, unterbrach er sie, »das kommt mir nicht
merkwürdig vor. Sie werden schon wissen, was Sie machen und warum Sie danach
fragen. Ja, das ist richtig. Frau Platzer hatte mir Geld und einen Brillantring
gestohlen.«
»Erzählen Sie mir doch bitte mehr dazu. Wie es dazu
gekommen ist. Und auch, warum Sie Ihre Anzeige anscheinend wieder zurückgezogen
haben. Denn Frau Striegel sagte mir …«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Zuerst, zwei Jahre
ist das mittlerweile her, fehlte der Ring, das einzige Erbstück von meiner
Mutter. Ich habe eine kleine Schmuckschatulle, in der ich auch meine
Krawattennadel und den Siegelring aufbewahre. Nun gut, dieser Ring war also
eines Tages weg. Und da ich wusste, dass dafür nur eine Person in Frage kommt,
habe ich Frau Platzer daraufhin angesprochen. Sie hat die Tat jedoch vehement
abgestritten. Da blieb mir nichts anderes übrig, als ihr eine gründliche Hausdurchsuchung
in Aussicht zu stellen, falls der Ring nicht schnellstens wieder in seiner
Schatulle läge. Und raten Sie mal, was ich am Tag darauf in meiner
Serviettentasche am Frühstückstisch gefunden habe?«, stellte er die rhetorische
Frage.
»Den Ring. Und der Gelddiebstahl? Wie sind Sie da auf
Frau Platzer als Tatverdächtige gekommen?«
»Ich brauchte dringend eine neue Herzklappe und habe
mich zu diesem Behufe letztes Jahr ins Martha-Maria-Krankenhaus einliefern
lassen. Das ging damals alles ein wenig hopplahopp, sodass ich in der Eile
vergessen habe, meine Kreditkarte, eine MasterCard Gold, mit in meine
Ausweismappe zu nehmen, die ich stets in solchen Fällen bei mir trage. Die lag,
wie sie das für gewöhnlich tut, in jener Zeit also noch in meinem Nachtkasten. Und
darunter, und da werden Sie über meine Nachlässigkeit jetzt sicher lachen, Frau
Steiner, der Zettel mit der PIN -Nummer. Ich weiß
natürlich, dass man beides immer strikt getrennt voneinander aufbewahren soll.
Aber gehalten habe ich mich nicht daran. Eine Dummheit des Alters, die Sie mir
verzeihen mögen.«
Nach einer längeren Pause fuhr er fort.
»Tja, und nach meiner Rückkehr ins Stift musste ich
feststellen, dass sich in der Zwischenzeit jemand von diesem Konto zweimal
kräftig bedient und dabei jeweils den Verfügungsrahmen von fünftausend Euro
voll ausgenutzt hatte. Den Diebstahl bemerkte ich natürlich erst, als ich die
Kontoauszüge erhielt und dabei auf die verdächtigen Abbuchungen stieß, mithin
viel später. Mitte Juni fehlten dann auf dem Konto summa summarum zehntausend
Euro.«
»Das ist bitter«, kommentierte Paula diesen
emotionslos vorgetragenen Rapport.
Schneider-Sörgel
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