Mord in Der Noris
tun hat?«
»Möglich ist alles. Und wir benötigen auch die
Konteneinsicht für den Exmann, für Herrn Platzer. Kümmerst du dich darum?«
»Ja, natürlich.«
»Und was du noch machst: uns bei dem Schwiegersohn der
Rupp und ihren Enkelinnen anmelden. Obwohl … Ich glaube, es ist besser, wenn
wir die hier einbestellen. Denn ich fürchte, die sind genauso schwierig zu
handeln wie unsere Apolonia. Ach, mach, wie du meinst. Anmelden oder vorladen,
mir egal.«
»Aber so ein paar Telefonate dauern doch keine
Stunden, Paula, das ist doch gleich erledigt. Ich kann mit dir gehen. Gestern
hast du noch gesagt, wir arbeiten alle Termine gemeinsam ab.«
»Gestern war gestern, und heute ist heute. Außerdem
sind die Zeitungen voll mit unserem Doppelmord, da können wir es uns nicht
leisten, dass das Telefon so lange unbesetzt ist.« Und außerdem, was der
eigentliche, der wahre Grund war, wollte sie dieses hoffnungsvolle Brummknödeln
für sich allein haben. Heinrich würde da nur stören.
Gleichzeitig war sie überrascht, wie einwandfrei ihre
Reproduktion der hierarchischen Befehlsstrukturen des Kollegen Trommen
funktionierte. Denn auf diese klare Order erfolgte nämlich kein verbaler
Widerspruch mehr, Heinrich schien sich ihr und damit auch ihrem neuen
Führungsstil zu fügen. Wenn auch widerwillig, wenn sie sein nun betont
angeödetes und muffiges Gesicht richtig deutete.
Auf dem Weg zur Gerichtsmedizin bedauerte sie ihre
nonchalante Kleiderwahl von heute Morgen. Herrn Platzer wäre sie lieber in
einer knackigen figurbetonten Jeans oder einem schmalen damenhaften Rock
begegnet statt in der labbrigen, stellenweise ausgebeulten Bundfaltencordhose
und den flachen Schnürschuhen, die sie trug. Das Problem war nur – alles, was
auch nur annäherungsweise knackig oder schmal war, eignete sich derzeit
ausgesprochen schlecht, ihre Figur zu betonen. Dafür hatte sich in letzter Zeit
einfach zu viel Speck auf den Hüften angesammelt. Und die Aussichten, dieses
ungeliebte Hüftgold wieder loszuwerden, schienen nicht rosig, wenn man ihrer
Mutter glauben wollte. Die nämlich vertrat die Anschauung, dass man ab einem
»gewissen Alter« zur Quadratur neigte und diese »z’sammag’stauchte« Körperform
allen Anstrengungen zum Trotz beibehalten werde. War sie schon in diesem
»gewissen Alter«?
Eine Viertelstunde vor zehn bog sie in die Tetzelgasse
ein. Schon von fern sah sie Erwin Platzer vor dem Gerichtsmedizinischen
Institut rauchend auf und ab gehen. Ein riesiger Kopf auf einem kurzen Hals,
eine untersetzte, kräftige Statur, ein respektabler Bauchansatz, das musste er
sein. Von Weitem hatte er große Ähnlichkeit mit dem Bud Spencer der siebziger,
achtziger Jahre.
Als sie ihm schließlich gegenüberstand und ihm die
Hand reichte, vertiefte sich ihr unverbindliches Allerweltslächeln
unwillkürlich und wurde sehr verbindlich. Was für ein Mann! Vollbart, nass
zurückgekämmte glatte Haare, die sich hinten im Nacken kräuselten,
minimalistische Mimik und ein müdes Gesicht mit wachen Augen. Ein Auslaufmodell
jener altmodischen Männlichkeit, für die sie schon als junge Frau eine Schwäche
gehabt hatte.
»Guten …« Zudem verfügte Erwin Platzer auch über eine
dermaßen enorme physische Präsenz und Direktheit, dass ihr für den Bruchteil
einer Sekunde die Stimme wegkippte. Sie räusperte sich. »… Morgen. Das
hätte ich nicht gedacht, dass Sie so überpünktlich da sind. Ich habe Sie doch
heute früh aus dem Schlaf gerissen, oder?«
»Schon, ja. Wissen S’, ich bin Busfahrer und hab
derzeit die Nachtschicht. Da komm ich vor halb zwei net ins Bett. Und steh
entsprechend spät auf.«
Sie betraten das Gebäude, wobei Platzer ihr den
Vortritt ließ. Ohne jede galante aufgesetzte Geste, aber mit einer großen
Selbstverständlichkeit. Frieder Müdsam kam ihnen entgegen. Sie sagte ihm, dass
Herr Platzer sich bereit erklärt habe, seine tote Exfrau zu identifizieren.
»Aber das hat doch schon die Nachbarin gemacht, diese
Frau …«
»Vogel«, ergänzte sie. »Ja, aber wir befinden es für
besser, wenn das zur Sicherheit ein nahestehender Angehöriger wiederholt.«
»Wenn das so ist, na gut. Herr Platzer, möchten Sie,
dass Frau Steiner dabei ist, wenn Sie den Leichnam identifizieren?«
»Nein, das braucht’s net. Das mach ich allein.«
Während die beiden Männer nach hinten in die
Leichenkammer verschwanden, nahm Paula auf der einfachen Holzbank Platz, dem
einzigen Sitzmöbel in dem riesigen Entree des Instituts.
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