Mord in Der Noris
ausdrücklich in eine größere
Kommission wechseln, in eine, die auch spektakulärere Fälle bearbeitet als wir,
also als Herr Bartels und ich.«
»Das hab ich doch nicht ernst gemeint, das müssen Sie
mir glauben. Das hab ich doch überhaupt nicht ernst gemeint. Ganz im Gegenteil.
Das hab ich doch nur gesagt, damit ich nicht so blöd vor Ihnen dastehe. Noch
blöder als ohnehin.«
Paula hatte Mühe, ihre Immer-noch-Mitarbeiterin zu
verstehen, akustisch zu verstehen, so leise, wie diese sprach. Auch wenn Eva
Brunner ihrem geraden Blick standzuhalten versuchte. Das wiederum gefiel ihr.
»… nachdem ich mich am Dienstag so aufgeführt
habe. Ihnen gegenüber.«
»Stimmt, das haben Sie. Und nicht nur am vergangenen
Dienstag. Mir ist auch schon vorher aufgefallen, und zwar sehr unangenehm
aufgefallen, dass Ihnen die Lust an der Arbeit vergangen sein muss. So pampig
und anmaßend, wie Sie in den letzten Wochen waren.«
Nach einem vorübergehenden Zugeständnis an ihre
Strategie, das heißt: nach einer bedeutungsvollen Pause, fügte sie hinzu: »Ich
glaube halt, dass Ihnen das, was Sie heute sagen, schon in kurzer Zeit leidtun
wird. Dass Sie sich in Trommens Kommission doch wohler fühlen …«
»Nein, überhaupt nicht, Frau Steiner«, wurde sie
unterbrochen, sehr lebhaft und diesmal sehr gut zu verstehen, »wirklich nicht.
Ich hatte doch jetzt genug Zeit zum Nachdenken, und ich hab diese Zeit auch
genutzt, wie Sie mir geraten hatten. Ich will wieder zu Ihnen. Bitte. Wenn das
irgendwie möglich wäre. Bitte überlegen Sie sich das doch noch mal mit mir.«
Eva Brunner brachte bei ihrer Bitte sogar die Andeutung eines Lächelns
zustande.
Paula hörte die Ernsthaftigkeit dieses dringenden
Wunsches, blieb aber skeptisch.
»Gut, überlegen werde ich es mir«, versprach sie. »Und
trotzdem hätte ich gern eine Erklärung von Ihnen gehört, was Sie zu Ihrem
Verhalten in letzter Zeit geführt hat, das ja so ganz anders war als noch zu
Beginn Ihrer Tätigkeit bei uns. Denn so etwas von der Art, was da am
Dienstagvormittag vorgefallen ist, möchte ich nicht noch mal erleben.«
Da reagierte ihre sonst so redselige bis leider auch
geschwätzige Mitarbeiterin völlig unerwartet – sie sagte nämlich nichts.
»Sie haben anscheinend auch keine Erklärung dafür.«
»Doch, schon. Aber ich weiß nicht, wie ich das jetzt
ausdrücken soll.«
»Am besten so, dass ich es auch verstehe«, wurde sie
von ihrer Vorgesetzten mehr ermuntert als aufgefordert.
»Also ich glaube halt, dass ich mich deswegen so
danebenbenommen habe, weil … na ja, weil Sie und Heinrich sich doch so gut
verstehen. Da habe ich anscheinend keine andere Möglichkeit gesehen, mich vor
Ihnen zu behaupten, als dass ich mich entsprechend aufführe. Das hat auch mein
Papa gemeint.«
»Was? Das habe ich jetzt nicht verstanden. Das müssen
Sie mir schon genauer erklären.«
Und da zeigte Eva Brunner endlich wieder ihr wahres
Gesicht und redete und redete und …
»… will ich damit nicht sagen, dass ich mir wie
das sprichwörtliche fünfte Rad am Wagen vorkam, aber es geht schon in die
Richtung … hatte ich immer das Gefühl, Sie schätzen Heinrich mehr als mich …
obwohl, das stimmt schon, ich genau wie er bei allen Einsätzen dabei war … und
trotzdem war ich überzeugt, wenn ich mal gehe, dass mir keiner eine Träne
hinterherweint, weder Sie noch Heinrich … im Prinzip haben Sie und Heinrich ja
auch alles gemacht, die ganzen Fälle gelöst … mich braucht’s doch gar nicht in
diesem Team, das habe ich mir oft gedacht … Sie stehen ja auch so«, sie presste
Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand zusammen, »zueinander, da passt kein
Blatt Papier dazwischen …«
So viele Worte zu einer so frühen Zeit, das
überforderte Paulas Aufnahmekapazität. Immer wieder schaltete sich – und das
durchaus gegen ihren Willen – ihre auditive Hirnrinde selbsttätig ab, sodass
sie von Eva Brunners Ansprache nur einzelne Satzfetzen mitbekam.
»Die kriegen das auch so hin, ohne mich … freilich ist
das eine subjektive Ansicht von mir, das weiß ich, die gar nicht stimmen muss,
aber … ganz oben stehen Sie, gleich daneben Heinrich, und wo steh ich
eigentlich, das hab ich mich oft gefragt … obwohl Sie sich mir gegenüber nie,
wirklich nie gönnerhaft gezeigt haben, also ein Lob ohne Ressourcen verteilt
haben, wie das bei vielen Chefs jetzt so üblich ist, vor allem bei männlichen
Chefs, die verteilen gern so Komplimente ohne jede Folgen, also ein Lob
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