Mord in Der Noris
rufe ich ja an. Wir zwei haben heute eine
Verabredung. Du erinnerst dich doch sicher, um halb sechs vor dem
Polizeipräsidium.«
Oh, das Fußballspiel, das hatte sie tatsächlich vergessen.
Erst jetzt, in diesem Augenblick, erinnerte sie sich an ihre Verabredung. Und
so antwortete sie mit dem schlechten Gewissen der um ein Haar Ertappten:
»Natürlich. Meinst du, ich vergesse so was?«
»Na, sicher war ich mir nicht. Aber dann ist ja alles
in Ordnung. Also bis heute Nachmittag. Und bring gute Laune mit. Ich fürchte,
die werden wir brauchen. Schalke spielt nämlich in letzter Zeit sehr stark.«
Dann beendete er das Gespräch.
Das auch noch. Ihr Vorhaben, sich heute in der
Eichendorffstraße einzuigeln und dort ohne Zeitlimit das Oberste zuunterst zu
kehren, sprich: nach Hinweisen zu fahnden, war damit geplatzt. Somit würde sie
das auf den Samstag verschieben. Schließlich hatte sie an diesem Tag sowieso
Bereitschaftsdienst.
Nachdem sie Kaffee aufgesetzt, das Ei in den
Wassertopf gelegt und den Küchentisch hübsch eingedeckt hatte, stellte sie sich
ans Fenster und blickte auf ihre Burg, die wie immer um diese Zeit eine
ergreifende Ruhe und Erhabenheit ausstrahlte. Erfreut registrierte sie das verheißungsvolle
Blassblau des Himmels, das im Laufe des Tages zu einem satten wolkenlosen Blau
mutieren würde, welches auch der Sonne zu ihrem Recht verhalf.
An der niedrigen Steinmauer vor dem Burggraben lehnte
eine Frau und schien zu ihr heraufzusehen. Sie kniff die Augen fest zusammen
und betrachtete die Gestalt mit dem rotblonden Haar genauer. Erschrocken tat
sie einen Schritt zur Seite und stellte sich hinter die blickgeschützte Wand.
Das durfte doch nicht wahr sein … das war doch nicht möglich … oder doch?
Schnell lief sie ins Wohnzimmer, holte sich die Brille, die noch auf dem
Couchtisch lag, und setzte sie auf. Dann huschte sie in die Küche zurück, gebückt
und darauf bedacht, dass man sie von der Straße her nicht sehen konnte, und
bezog vorsichtig Stellung am linken Fensterrahmen.
Ihr dritter Blick, nun geschärft durch die Sehhilfe,
bestätigte, was sie befürchtet hatte: Tatsächlich, das war Eva Brunner, die da
an der Steinmauer lehnte und in aller Seelenruhe darauf zu warten schien, sie
an der Haustür abzufangen. Für Paula wirkte das wie eine Herausforderung zu
einem Duell.
Mit dieser Hartnäckigkeit ihrer Mitarbeiterin, die
schon Züge der Aufdringlichkeit trug, hatte sie nicht gerechnet. Sie setzte
sich an den Küchentisch und dachte nach. Was wollte die Anwärterin von ihr?
Wahrscheinlich reden, ja, aber worüber und mit welcher Absicht? Sie kam zu dem
Schluss, dass da draußen eine Gefahr lauerte, die umso bedrohlicher schien, als
sie nicht wusste, aus welcher Richtung das Gefecht eröffnet werden würde. Es
war vor allem diese Ungewissheit, die sie bei der unvermeidbaren Begegnung
störte. Paula hatte die Sachen gern im Griff.
Nachdem sie sich ihre Taktik – und zwar die des
bedeutungsvollen Schweigens bis zur allerallerletzten Minute –, die ihr
speziell für diese Situation äußerst raffiniert zu sein schien, für das Treffen
draußen auf der Straße zurechtgelegt hatte, schenkte sie sich den Kaffee ein
und klopfte das Ei auf. Gab sich Mühe, das opulente Frühstück, auf das sie sich
schon seit gestern Abend gefreut hatte, zu genießen. Besonders gut gelang ihr
das nicht.
Eine gute halbe Stunde später verließ sie die Wohnung.
Unten vor der Haustür blieb sie stehen. Eva Brunner winkte zaghaft und kam dann
über die Straße auf sie zu. Ohne jeden Morgengruß eröffnete sie das Gespräch.
»Mein Papa hat gemeint, wenn ich noch irgendeine
Chance bei Ihnen hätte, dann nur, wenn ich mit Ihnen persönlich rede.«
Paula war so perplex, dass sie augenblicklich ihre
äußerst ausgebuffte Taktik vergaß und, statt bedeutungsvoll zu schweigen,
nachfragte. »Welche Chance?«
»Na ja, dass ich halt wieder zu Ihnen zurückkehren
kann und nicht in Trommens Kommission wechseln muss.«
Wieder folgte kein strategisch bedeutungsschwangeres
Schweigen, sondern die neugierige Frage: »Warum?«
»Weil es bei Ihnen viel aufregender, lehrreicher und
auch schöner ist als bei Trommen. Beziehungsweise in allen anderen
Mordkommissionen.«
»Schöner? Das hat aber vor Kurzem noch ganz anders
geklungen, Frau Brunner. Sie haben doch selbst gesagt, das ist Ihnen alles viel
zu eng und zu wenig professionell bei uns. Weil wir doch nur die Pamperl-Fälle
haben, was ja auch stimmt. Sie wollten doch
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