Mord in Der Noris
meinen Mann und verliere damit nicht nur meine
finanzielle Sicherheit. Denn als geschiedene Frau hatte man es Mitte der
sechziger Jahre nicht einfach, egal, welche Gründe einen dazu bewogen hatten,
sich von seinem Mann zu trennen; alleinstehende Männer hatten damals ganz
andere Möglichkeiten, waren in allem viel freier und geachteter. Oder ich
bleibe bei ihm, habe so zwar weiterhin den finanziellen Rahmen, den ich gewohnt
war, und auch den gesellschaftlichen Umgang, auf den ich immer Wert legte, und
werde dafür aber jeden Tag, jede Stunde, jede Minute an seine Affäre erinnert.«
»Sie haben sich dann für das Bleiben entschieden?«
»Ja. Mir blieb ja gar nichts anderes übrig.«
Anstand und auch ein Funken Mitgefühl für die
betrogene und derart unter Druck gesetzte Ehefrau verboten es Paula, zu
widersprechen. Sie erkannte das Leid dieser Frau, der jahrelang das Fremdgehen
ihres Mannes so leibhaftig vor Augen geführt worden war. Sie sah aber auch das
Elend von Elvira Platzer, unter solchen Bedingungen aufzuwachsen, ohne eine
liebende Mutter, stets Ablehnung und Abneigung spürend. Auch wenn ihr Vater sicher
nach Kräften versucht hatte, die Kälte und den Hass seiner Frau gegenüber
seiner Tochter aufzufangen und auszugleichen. Doch was waren ein paar hübsche
Kleider, das neueste Spielzeug und selbst eine Eigentumswohnung gegen eine
derart verkorkste Kindheit?
»Und die leibliche Mutter, hatte die im Folgenden noch
Kontakt zu ihrer Tochter?«
»Nein. Das wäre auch gegen seinen Willen gewesen. Wir
haben Elvira adoptiert …«
»Und das war auch in Ihrem Sinn?«, fragte Paula
verwundert.
»Nein. Aber das war seine Bedingung. Dass wir sie an
Kindes statt annehmen und adoptieren. Und dass die Mutter auf sämtliche Rechte
verzichtet. Aber, das dürfen Sie mir glauben, die war daran auch gar nicht
interessiert, ihre Tochter aufzuziehen. Die wollte ihre Freiheit, sich
austoben, ihr liederliches Leben weiterführen. Ein Kind wäre nur eine Last
gewesen für diese Person«, sagte Apolonia Rupp mit einem bitterbösen Lächeln.
»Wie ich gehört habe, hat sie ein paar Jahre später schon das nächste Bankert
gehabt. Da ist sie aber nicht so billig wie bei uns davongekommen, das hat sie
dann schon selbst aufziehen müssen. Ohne den Vater und ohne solch großzügige
finanzielle Unterstützung wie bei uns.«
»Wissen Sie auch den Namen von dieser zweiten
Tochter?«
»Nein. Und er interessiert mich auch nicht.«
Paula notierte in ihrem Block in Anführungszeichen
»das nächste Bankert?«.
»Wir haben eine Aussage vorliegen, nach der Ihre
Adoptivtochter jede Woche einmal, meist am Wochenende, zu Ihnen zu Besuch kam.
Sie aber sagten, dass Sie den Kontakt schon seit acht Jahren zu ihr gänzlich
abgebrochen haben. Oder täusche ich mich da?«
»Nein, das ist richtig. Seitdem sie bei Claudias
Beerdigung nicht dabei war, hatte ich wie auch meine Familie, hatten wir also
keinen Kontakt mehr zu ihr. Wer so etwas behauptet, lügt offensichtlich.«
Paula glaubte ihr. Allerdings glaubte sie auch
Elisabeth Vogel. Wer in dem Fall gelogen hatte, würde Elvira Platzer gewesen
sein. Aus einleuchtenden Gründen – die einsame, bindungslose Altenpflegerin
wollte ihrer Umwelt damit vermutlich so etwas wie ein intaktes Familienleben
vorspiegeln.
Paula wollte sich schon erheben, da gab ihr Frau Rupp
ein Zeichen, sitzen zu bleiben.
»Da Sie schon mal da sind, kann ich Sie ja auch gleich
etwas fragen. Ihr reizender Kollege Herr Bartels sagte mir nämlich am Telefon,
dass Sie dafür zuständig seien. Wann, meinen Sie, kann ich denn mit der
Freigabe der Wohnung rechnen?«
»Ich fürchte, da werden wir uns alle in Geduld üben
müssen.«
Sie hoffte, dass sich Apolonia Rupp mit dieser Antwort
begnügen würde. Das tat sie aber nicht.
»Warum dauert das denn so lang? Also ich, wenn ich was
zu sagen hätte, würde ein paar Container kommen und dann ratzfatz die Wohnung
entrümpeln lassen. So schwierig kann das doch nicht sein.«
»Aber Sie, Frau Rupp, haben in diesem Mordfall nichts
zu sagen. Entrümpelt wird erst dann, wenn auch die letzte Spur in dieser
Wohnung sichergestellt ist. Und nachdem Sie ja eine ungefähre Vorstellung
haben, wie es bei Ihrer Adoptivtochter aussah, können Sie sich sicher denken,
dass so etwas nicht von heute auf morgen geht.«
Sie und Eva Brunner erhoben sich wie aufs Stichwort,
als Apolonia Rupp ihre letzte Attacke gegen sie ritt.
»Ich habe das Gefühl, es macht Ihnen Spaß, mir mein
Erbe, das mir
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