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Mord in Der Noris

Mord in Der Noris

Titel: Mord in Der Noris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kirsch
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der
Hand vor dem Drehkreuz wartete, vor ihr eine Frau, von deren Handgelenken je
sechs Fanschals baumelten, drehte sich diese Frau mit dem mittellangen
gelockten Haar plötzlich zu ihr um und – war ein Mann. Sein breites Grinsen
wurde von einer eindrucksvollen Bierfahne begleitet.
    »Oh, was haben wir denn da Schönes! Eine schöne Frau
mit einem schönen Platz. Eine Dauerkarte im 15er Block, hallo, hallo. Das kann
sich unsereins als armer Schlucker nicht leisten.«
    Paul, der in der Parallelschlange wartete und frei von
jeglichen Eifersüchteleien war, lächelte ihr selbstzufrieden zu. So als ob
beide Komplimente ausschließlich auf sein Konto zu verbuchen seien.
    Sie hatte erwartet, dass das Stadion noch leer sei, so
früh, wie sie ihre Plätze einnahmen. Doch es war bereits rappelvoll. Ihre
zweite Erkenntnis: Ein Live-Fußballspiel ist nicht einfach nur ein
Fußballspiel, so wie im Fernsehen, sondern viel mehr. Es folgt einer
ausgeklügelten Liturgie, bei dem auf und ab hüpfende junge Burschen eine
wichtige Rolle spielen. Und Spruchbänder. Sogar nackte Oberkörper.
Pfeifkonzerte und Gesänge. Und vor allem – die Club-Hymne.
    Als die erste Zeile von »Die Legende lebt …« erklang,
streckte ihr Nebenmann, gut über die siebzig, grimmiger Blick, nikotingelbe
Finger, ihr das Ende seines Schals hin.
    »Da, dass d’ a wos zum Halten hast.«
    Das gefiel ihr. Sie, die sich sonst die in Mode
gekommene Jedermannsduzerei stets von vornherein und mit Nachdruck verbat,
fühlte, wie sie mit dieser Schal-Offerte soeben in eine Gemeinschaft
aufgenommen worden war. Und zwar mit dem zusätzlichen Ritterschlag des Duzens.
    Die Partie begann als zähes Schachspiel mit sehr
dezent offensiven Franken, die erst kurz vor der Halbzeitpause erste Vorstöße
wagten, und noch tiefer stehenden Gelsenkirchenern. Gelaufen wurde auf beiden
Seiten viel, das imponierte ihr, vor allem die Schalke-Spieler besichtigten die
Arena aus allen möglichen Perspektiven. Doch entscheidend war nicht die
Kondition, über die alle Spieler gleichermaßen verfügten, erkannte sie bereits
nach dem 1:0. Entscheidend war die Spieltaktik der zwei Phasen. Erster Schritt:
die Balleroberung, zweiter Schritt: was mit dem Ball dann passiert. Der erste
Schritt war auf beiden Seiten, fand sie, ganz okay, vor allem in der zweiten
Hälfte. Doch der FC Schalke verzichtete zugunsten
der Gastgeber großzügig auf den zweiten Schritt, sehr zur Freude des gesamten
15er Blocks, und kassierte ein verheerendes 4:1.
    Auf der Heimfahrt war die S-Bahn wieder proppenvoll,
die Menschen um sie herum grölten und rochen noch mehr nach Bier und Schweiß
als auf der Hinfahrt. Aber es störte sie nicht. Im Gegenteil. Sie fand nun, das
gehörte dazu. Als ein weiterer fester Bestandteil dieser Veranstaltung. Genau
wie die nackten Oberkörper und das Schmettern der Club-Hymne. Vergessen war
auch ihr erst vor zwei Stunden gefasster Entschluss, es bei diesem einen Spiel
ein für alle Mal zu belassen.
    »Das war ein richtig schöner Abend«, flüsterte sie dem
neben ihr stehenden Paul zärtlich ins Ohr. »Danke, dass du mich mitgenommen
hast. Du hättest ja auch jemand anderen damit eine Freude machen können.
Hoffentlich ist dein Kollege in Zukunft noch recht oft verhindert.«
    Am nächsten Morgen wurde sie ausnahmsweise mal
nicht durch ihren imaginären Stalker wach, sondern durch einen sehr realen
Oberpfälzer. Paul Zankl lag auf dem Rücken neben ihr, noch in festem Schlaf,
mit kreisrund geöffnetem Mund, und schnarchte. Draußen war es stockfinster, sie
hörte die ersten Vögel zaghaft zwitschern. Es war so still an diesem frühen
Samstagmorgen, dass sie fürchtete, das ohrenbetäubende Ritzeratze in ihrem Bett
würde nicht nur sie aus dem Schlaf reißen, sondern das ganze Haus.
    Sie sah auf den Wecker. Erst halb fünf. Sie beugte
sich über Paul, küsste ihn leicht auf die Nasenspitze, kletterte dann über ihn
hinweg und stieg aus dem Bett.
    Bevor sie sich unter die Dusche stellte, schaltete sie
die Kaffeemaschine ein und nahm die Butterdose aus dem Kühlschrank. Als sie
sich die Frühstückabschlusszigarette angezündet hatte und ihrer Kaiserburg
einen langen, freundlichen Blick zuwarf, tauchte Paul in der Küche auf. Noch
schlaftrunken, aber schon sehr ungehalten.
    »Bei dem Krawall hier kann ja kein Mensch in Ruhe
ausschlafen.«
    Sie sah ihn fragend an und lauschte in die Stille des
Mehrparteienhauses.
    »Welcher Krawall? Hier ist es doch
mucksmäuschenstill.«
    »Du weißt

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