Mord in Der Noris
anscheinend nicht, was du für einen Lärm mit
deinem Rumgetrietschel im Bad veranstaltest.«
Ach so, das. Sie sah ihn amüsiert an.
»Gegenfrage. Warum, meinst du, dass ich an einem
Samstagmorgen schon kurz nach fünf Uhr mit dem Frühstücken fertig bin?«
»Weil du es mal wieder nicht erwarten kannst, zu
deiner Arbeit zu kommen.«
»Falsch, ganz falsch. Die richtige Antwort wäre
gewesen: weil ein gewisser Herr Zankl so laut schnarcht, und zwar schon die
ganze lange Nacht über, dass mein Rumgetrietschel dagegen sozusagen geräuschlos
vonstatten geht. Das ist so, wie wenn du ein dreistündiges Oratorium mit einem
Pianissimo-Klavierstück von, sagen wir, zehn Sekunden vergleichst. Wenn du
verstehst, was ich meine.«
»Ich bin ja nicht blöd.«
»Nein, aber laut, sehr laut.«
»Paula, mal was anderes. Musst du heute unbedingt
arbeiten? Hat das nicht nächste Woche auch noch Zeit?«
»Ja beziehungsweise nein. Ja, ich muss heute arbeiten,
und nein, das hat keine Zeit.«
Als sie eine Viertelstunde später die Wohnungstür
hinter sich schloss, lag der Ritzeratze-Mann wieder in ihrem warmen Bett. Sie
hörte ein von rhythmischen Schnaufern untermaltes leises Pfeifen und ahnte,
dass sich das bald zu einem Crescendo fortissimo steigern würde.
Eine weitere Viertelstunde später hatte sie die
Eichendorffstraße erreicht, die ruhig einem trockenen, kalten Tag
entgegendämmerte. Für einen Besuch in Elvira Platzers Wohnung schien ihr diese
Stunde besonders günstig. Mit einer gewissen freudigen Erregung stieg sie in
den ersten Stock. Als sie den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, sah sie,
dass das Siegel abgerissen war. Und zwar auffällig abgerissen war. Rahmen und
Türkante dagegen wiesen keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens auf. Also
würde derjenige, der hier eingedrungen war, sich den Zutritt mit einem Schlüssel
verschafft haben.
Sie zog die Handschuhe aus ihrer Tasche, stülpte sie
über, hob mit spitzen Fingern die zwei Siegelhälften auf, die auf dem Boden
lagen, und verstaute sie in einer der durchsichtigen Plastiktüten, die sie für
gewöhnlich immer bei sich trug. Dann sperrte sie die Tür auf. Nach den Spuren
des anonymen Besuchers hatte sie erwartet, in der Wohnung ein noch größeres
Chaos vorzufinden als bei ihrer letzten Stippvisite. Doch es schien alles an
seinem Platz zu sein.
Nach einem prüfenden Blick in die Diele trat sie auf
den schmalen Pfad im Wohnzimmer und sah sich dort ebenfalls um. Auch hier das
gewohnte Bild. Doch nein, irgendetwas war anders. Sie schloss die Augen, lud
sich das Video vom vergangenen Dienstag auf ihre mentale Festplatte – und
öffnete die Augen wieder. Jetzt erkannte sie, was dieses Etwas war. Der
Pappkoffer mit den Plastikkleiderbügeln war nicht mehr an seinem Platz. Er war
nach hinten geschleudert worden, die schwarzen Plastikkleiderbügel lagen nun achtlos
verteilt über den sorgsam aufgeschichteten Kleiderstapeln. Darauf verstreut die
Fahrrad-Luftpumpen. Wie ein überdimensionales Mikado, das man mitten im Spiel
abgebrochen und liegen gelassen hatte. Hier war jemand auf die Suche gegangen.
Hatte dieser Jemand gefunden, was er gesucht hatte? Sie spürte, wie sich ihr
Herzschlag beschleunigte.
Sie verließ das Wohnzimmer und ging in den Schlafraum.
Schloss wieder die Augen, schaltete das Schlafzimmer-Video vom Donnerstag ein
und klappte die Augen auf. Nein, hier war noch alles an seinem Platz. Oder
schien es zu sein.
Enttäuscht setzte sie sich auf den Liegesessel.
Insgeheim machte sie sich den Vorwurf, wertvolle und vielleicht
unwiederbringliche Zeit verstreichen haben zu lassen. Was, wenn sie gestern
Nachmittag nicht zu Frau Rupp und zu dem Fußballspiel gegangen wäre? Dann wäre
sie dem anonymen Besucher vielleicht zuvorgekommen.
Sie dachte nach. Versuchte, sich in den Eindringling
hineinzuversetzen. Schätze, die sich schnell zu Bargeld machen ließen, würde er
hier nicht gesucht haben. Einfach deswegen, weil es hier nichts gab, was sich
weder schnell noch langsam zu Bargeld machen ließ. Was also dann? Die Tatwaffe?
Das war unwahrscheinlich, so etwas vergaß man nicht. Blieb nur mehr das, wonach
sie selbst auf der Jagd war – Papiere, Unterlagen, Formulare, Aufzeichnungen
und vor allem das Testament. Und da hatte er ausgerechnet im Wohnzimmer
gesucht! Wie dumm von ihm. Denn dort in dieser Müllhalde, da war sie sich
sicher, hatte Elvira Platzer solche wertvollen Schriftstücke und Dokumente auf
keinen Fall deponiert. In der mit den
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