Mord in der Vogelkoje
abholen?«
»Natürlich«, sagte sie.
»Gut, wir kommen, so schnell es geht.« Asmus hängte auf.
»Was ist denn am Naturschutz so brandeilig ?«, fragte Sinkwitz misstrauisch.
»Weniger der Naturschutz«, antwortete Asmus diplomatisch, der die Verachtung seines Chefs dafür kannte, »als die Tatsache, dass wir so schnell wie möglich nach Kampen zurückmüssen, nachdem wir diese weniger wichtige Frage mit Ose Godbersen geklärt haben. Wachtmeister Jep Thamsen ist bereits dort, um dem Diebstahl am Damm nachzugehen.«
»Ah so. Ja, der Diebstahl ist wichtiger als eine aufgegebeneVogelkoje. Verschwenden Sie nicht allzu viel Zeit damit.« Sinkwitz entließ Asmus mit einer Handbewegung.
Asmus war schon an der Tür, als Sinkwitz ihn nochmals zurückrief: »Ach, übrigens: Am Sonntag findet ein Aufmarsch zur Kirche statt. Sie und Matthiesen sind zur Begleitung eingeteilt. Sagen Sie ihm das.«
Asmus nickte, schloss schnell die Tür hinter sich und prustete seine Verärgerung hinaus. Dann informierte er Matthiesen und bat ihn, Ose abzuholen, während er sich wieder in die Statuten und Besitzerlisten der Gesellschaft vertiefte.
Geduld war nicht immer Asmus’ Sache, zumal er keine neuen Erkenntnisse aus den Unterlagen gewann. Aber endlich trafen Ose und Matthiesen ein und erlösten ihn.
»Was ist los?«, fragte sie neugierig. »Lorns war sehr verschwiegen.«
»Du musst dir eine Reihe von Namen ansehen und sagen, ob du von ihnen jemanden genauer kennst. Es geht um die Hauptinteressenten der Vogelkoje, vor allem um die ausgeschiedenen. Und um die Frage, von wem wir möglicherweise ehrliche Auskünfte über die Gesellschaft bekommen würden.«
»Aha.« Ose setzte sich neben Asmus und las.
Matthiesen und Asmus warteten geduldig.
»Zu tun hatte ich öfter mit Alwart Jensen«, sagte Ose schließlich. »Ich habe gelegentlich Ferdinand Avenarius zu ihm begleitet, wenn der einen Vorschlag zu machen hatte. Etwa die Verschiebung eines Weges um einen halben Meter, um eine bestimmte Pflanze zu schützen. Kleinigkeiten aus der Sicht eines Gemeindevorstehers.«
»Aber?«, fragte Asmus, der einen Vorbehalt zu hören glaubte.
»Alwart versprach immer alles, aber es geschah nichts. Er steht sich mit jedem gut, ist immer freundlich. Ich nehme an, ihr würdet von ihm nur Positives über jemanden erfahren. Die Vorbehalte behält er für sich, um niemanden zu kränken oder zu Unrecht zu beschuldigen.«
»Sympathisch. Nur hilft uns das nicht weiter. Die ausgeschiedenen einheimischen Hauptinteressenten von Kampen lassen wir besser beiseite. Was sagst du zu diesem Herrn Schäfer aus Potsdam?«
Ose sah hoch. »Der ist nur an Bildern interessiert. Er hat in der Vogelkoje gemalt. Du könntest ihm erzählen, dass die Enten in Wahrheit Wasserspechte sind, und er würde es glauben.«
»Untauglich für uns«, befand Asmus. »Und der Kapitän aus List?«
»Der war immer sehr aufgeschlossen für alles. Er ist zwar geborener Sylter, aber mit niemandem verbandelt, das ließ schon sein Beruf als Kapitän auf großer Fahrt nicht zu. Sonst weiß ich nichts über ihn.«
»Tja«, sagte Asmus. »Dann müssen wir zu ihm fahren, Lorns. Er ist anscheinend der Einzige, an den wir uns wenden können. Unter großer Vorsicht, natürlich.« Er hob lauschend den Kopf. »Ich glaube, Jep kommt gerade zurück. Der hat bestimmt Neuigkeiten. Aber wir machen Feierabend. Bis morgen früh!«
K APITEL 6
In aller Frühe machten sie sich am nächsten Morgen mit beiden Motorrädern auf den Weg nach List, Ose auf dem Soziussitz des Motorrads der Wache.
Der alte Kapitän Volkert Hendriksen wohnte im eigenen Haus neben der Fiskalischen Austernstube von List. Das kleine Gärtchen neben den Obstbäumen war vernachlässigt, und die drei Besucher erfuhren auch bald, warum: Die Ehefrau, die sich immer um Gemüse und Blumen gekümmert hatte, war im Spätwinter verstorben.
Hendriksen war sehr korrekt gekleidet, als stünde er noch täglich auf dem Frachtdampfer Hanna Fischer aus Rostock. Zu einem Gespräch mit Menschen, die wie er nicht nur Sylt kannten, sondern etwas mehr von der Welt gesehen hatten, war er mehr als bereit. Insbesondere hatten er und Asmus gemeinsame Erfahrungen und Kenntnisse aus Rostock, vor allem über die dortigen Reedereien und Schiffe. »Vermissen Sie denn Rostock nicht?«, fragte der Kapitän schließlich mitfühlend.
»Wer aus politischen Gründen strafversetzt wird, kann keine Ansprüche stellen«, war Asmus’ knappe Antwort. Es war deutlich,
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