Mord in der Vogelkoje
das entschuldigt meine Gedankenlosigkeit nicht. Der Bauzaun umschloss das Grundstück schon – bis auf die große Lücke zum Meer hin.« Das war es, was ihm durch den Kopf geschossen war, ohne dass er den Gedanken weiterverfolgt hatte. Das fehlende Stück Zaun.
Jep grinste erfreut.
»Wärst du wohl so gut, nach Kampen zu fahren? Das Gelände, von dem wir sprechen, liegt an der Nordosteckedes Dorfes, wo die Düne zur Bucht hin abfällt. Sei so gut, und sieh nach, ob die Zaunlücke unmittelbar am Wasser beziehungsweise am Steilufer geschlossen worden ist. Wenn ja, zähle die Pfähle, die dort stehen. Wenn die Lücke noch offen ist, rechne aus, wie viele sie benötigen. Du musst am Ufer entlanggehen …«
Jep winkte ab. »Lass nur, Asmus. Ich finde schon selbst heraus, wie ich da rankomme. Kann ich das Motorrad der Wache haben? Sofort?«
»Ja, gewiss …« Asmus starrte Jep verblüfft nach, der aufsprang und durch die Tür rannte, als wäre er auf der Flucht.
»Was ist denn mit dem los?«, fragte Matthiesen, der seinen Stuhl schnell aus Jeps Schneise gezogen hatte.
»Hat eine Aufgabe, die er erfolgreich zu Ende bringen will.«
»Da wünsch ich ihm alles Gute. Er war lange genug gelangweilt und mürrisch.«
»Jetzt nicht mehr. Komm! An die Arbeit!«
Asmus legte die Besitzerliste der Kampener Vogelkoje auf seinen Schreibtisch, und Matthiesen rückte neben ihn. Zum Glück war die Liste einfach zu lesen, denn die verbliebenen Hauptinteressenten waren angegeben und die Ausgestiegenen durchgestrichen. Aufgeführt war zuoberst der im Herbst gewählte Buch- und Geschäftsführer Nickels Petersen.
Matthiesens Zeigefinger rückte von Zeile zu Zeile. »Kenne ich nicht«, murmelte er, »den nächsten auch nicht. Aber hier: Alwart Jensen hat dazugehört, vor kurzem erst ausgestiegen.«
»Interessant«, meinte Asmus mit gefurchter Stirn. »Vor allem, dass er es nicht erwähnt hat. Auf jeden Fall erklärtes seinen Verdacht, dass es eine neue Gesellschaft geben könnte.«
»Hier ist ein Kapitän aus List«, fuhr Matthiesen fort. »Ihm bin ich schon mal begegnet, kann aber nicht behaupten, ihn beurteilen zu können.«
»Und der? Was sagst du zu dem?« Asmus schob Matthiesens Hand beiseite, so dass die unterste Zeile zu lesen war, und grinste.
»Mein Gott!« Matthiesen starrte betroffen auf die Liste. »Gustav Sinkwitz. Unser eigener Chef. Nicht mehr Teilhaber, aber trotzdem …«
Asmus nickte. »An sich ist seine Beteiligung unbedenklich. Aber uns zwingt es zu einer gewissen Zurückhaltung mit Informationen. Man sollte ihn später nicht beschuldigen können, im eigenen Interesse gehandelt zu haben.«
»Wird er das verstehen?«, fragte Matthiesen besorgt. »Nicht dass er dir unterstellt, du wolltest ihn auf diese Weise aus seiner Position ausbooten.«
»Ich hoffe, dass er mittlerweile erkannt hat, dass das nicht meine Vorgehensweise ist«, bemerkte Asmus ernst. »Unlautere Methoden gegen ihn hätte ich längst anwenden können. Ich weiß schließlich, wie mein Untergebener in Rostock es angestellt hat, mich rauszuwerfen und selbst Chef zu werden.«
»Du hast darüber nie viel erzählt«, sagte Matthiesen zurückhaltend.
»Nein, was gewesen ist, ist gewesen. Leider verlieren die Redlichen grundsätzlich gegen die Lügner und Betrüger, da sie nicht so weit sinken wollen, sich unter ihrem Niveau zu revanchieren. Um auf die Liste zurückzukommen: Dir ist keiner der ehemaligen Teilhaber so weit bekannt, dass du ihn als vertrauenswürdig einschätzen würdest?«
»Nein.«
»Wir können nicht riskieren, jemanden zu befragen, der womöglich anschließend Petersen Bericht erstattet. Man muss voraussetzen, dass sie aus dem Unternehmen ausgestiegen sind, weil sie an einen Geschäftserfolg nicht mehr glauben, nicht weil sie sich mit Petersen zerstritten haben. Loyalität ihm gegenüber besteht deshalb wahrscheinlich weiterhin.«
»Ja.«
»Dann muss jetzt als Erstes Ose her. Zum Glück haben sie wegen des Klinikdienstes ihres Vaters einen Fernsprecher.«
Um ein Telefonat zu führen, musste Asmus in den Büroraum seines Chefs gehen. Noch war der beantragte, genehmigte und bestellte Fernsprecher im Verhörzimmer nicht installiert. Sinkwitz saß am Schreibtisch und blätterte in Unterlagen. Neugierig und hellhörig, wie er zu sein pflegte, sah sich Asmus zu vorsichtiger Wortwahl gezwungen.
Er meldete sich. »Ose, wir brauchen dich in der Wache wegen deiner Naturschutzkenntnisse. Hättest du Zeit? Können wir dich sofort
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