Mord in der Vogelkoje
Vernachlässigung war unübersehbar. Heruntergerieselte Reethalme bedeckten die Dielen, das kleine Fenster schloss das Tageslicht durch die Spinnennetze nahezu aus, und der Herd war von verkrusteten Speiseresten überzogen und wegen Feuergefahr wahrscheinlich nicht mehr benutzbar. Tisch und Stuhl fehlten.
Asmus schob das Reet für Ose zu einem Häufchen zusammen, wonach sie sich auf den Dielenboden niederließen. »Gott sei Dank«, seufzte sie erleichtert. »In der Koje habe ich schon schönere Tage erlebt. Wenn die Enten einfallen, ist es einfach wunderbar. Stell dir vor, der ganze Teich ist voll von Enten! Und das Gequake, besonders wenn ein weiterer Schwarm einfällt! Die reden miteinander. Ich wünschte, ich könnte sie verstehen. Die Natur erfindet kein sinnloses Brabbeln.«
Asmus lächelte versonnen. »Ich weiß, was du meinst. Mir ging es früher so, wenn auf See Nebel herrschte und Gänse, die ich gar nicht sehen konnte, in Ufernähe weideten. Ihr Schnattern hörte sich immer so zufrieden an. Sie waren satt, Fressfeinde drohten nicht, und schießende Jäger waren wegen des Nebels auch nicht unterwegs.«
»Wir sitzen im Herbst oft auf unserer Bank am Steilufer, um den Ringelgänsen zu lauschen.«
Asmus, dessen Blicke unaufhörlich von den Dachbalken bis zum Boden durch die Hütte schweiften, rappelte sich plötzlich auf. Eigentlich war er versucht, den Petroleumkocher auf dem Herd anzuzünden, der nicht nur mehr Licht, sondern auch einen Hauch von Gemütlichkeit verbreiten würde.
Aber neben dem Herd, der entsprechend Oses Erklärung im Winter nicht benutzt wurde, um die Enten nicht durch Essensgerüche zu warnen, stand der Vorratskasten für Holz. Die Klappe war nicht vollständig geschlossen, ohne dass ein sichtbares Holzscheit sie aufgesperrt hätte.
Er schlug den Deckel auf. Das braunweiße Fell einer Tornisterklappe fiel ihm als Erstes ins Auge, an ihr zog er einen Tornister heraus. Wie der Pförtner gesagt hatte, war er alt und ausgebeult.
Ose machte große Augen, während Asmus einen kompakten kopflosen hölzernen Entenkörper aus dem Tornister beförderte. Brust und Rücken waren schwarz, die Seiten schlohweiß. »Das ist das fehlende Teil zum Entenkopf«, staunte sie.
»Und der Tote ist Maximilian Degenhardt aus Stockach«, bemerkte Asmus zufrieden.
K APITEL 8
Am Sonntagmorgen war das schlechte Wetter fortgezogen. Flieder, Weißdorn, Dünenrosen und Kälberkraut blühten überall, und die ersten Blütenblätter segelten schon von den Apfelbäumen herab, als Ose und Asmus durch den elterlichen Garten spazierten.
»Der Schnittlauch hat schon erste Blüten«, bemerkte Ose beglückt. »Sind sie nicht schön? Ich mag das Frühjahr am liebsten.«
»Solltest du nicht deiner Mutter beim Zubereiten der Enten helfen?«
»Sie sind gerade erst aus der Kirche zurückgekommen. Gönnen wir ihr eine Pause. Außerdem will sie keine Hilfe,sie sagte, den Inhalt einer Dose zu erwärmen ist keine Arbeit für zwei.«
»Lass uns trotzdem reingehen«, bat Asmus.
Sie fanden die Eltern in der Küche an der Arbeit vor.
Borg hatte gerade die Dose, ohne sich zu verletzen, geöffnet, und Blaicke hatte sie nach der Anweisung auf dem Etikett vorsichtig umgestülpt, worauf die vier Schlegel auf einen Teller gerutscht waren.
Asmus schaute Blaicke über die Schulter. Sie befreite das Fleisch von dem Überfluss an Entenfett, in das die Schlegel eingebettet waren, schmorte es dann in Butter, gab etwas Tunke aus der Dose hinzu und verfeinerte diese schließlich mit Sahne und machte alles mit Mehl sämig.
»Ihr habt euch richtig in Kosten gestürzt.« Asmus war es schon fast peinlich.
»Wenn schon, denn schon«, erwiderte Blaicke fröhlich. »Wozu eine teure Delikatesse kaufen, wenn man dann an den Zutaten spart. Schwieriger ist es schon, zu wissen, wo man heutzutage Sahne und Butter herbekommt.«
»Aber dafür hast du ein Händchen«, sagte Borg und kraulte ihr zärtlich den Nacken. »Der Duft der Keulen ist ja überwältigend! Kein Wunder, dass sie als Delikatesse gehandelt werden.«
Während der Mahlzeit schwiegen sie. Jedes Gespräch hätte sie vom Genuss abgelenkt.
Später war dazu beim Nachtisch noch Gelegenheit. »Obwohl die Schlegel so köstlich sind, ist das Zubereiten doch nicht eigentlich schwierig, oder?«, erkundigte sich Asmus bei seiner zukünftigen Schwiegermutter.
»Nicht im Geringsten. Du hast ja selbst gesehen, wie einfach es war. Die kannst du dir auch auf deinem Boot auf der Petroleumflamme oder
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