Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
entlohnte er den Droschkenkutscher und überreichte dem Lakaien an der Haustür seine Karte.
    »Guten Morgen«, sagte er rasch, bevor ihm dieser mitteilen konnte, es habe im Haus einen Trauerfall gegeben, weshalb man keine Besucher empfange. »Ich muss unbedingt mit Miss Freemarsh sprechen. Ich hoffe, sie ist noch im Hause.« Davon war er überzeugt, denn als Mensch, der in jeder Beziehung den Konventionen gehorchte, würde sie das Haus so kurz nach dem Tod ihrer Großtante eine ganze Weile auf keinen Fall verlassen.
    Der Lakai zögerte.
    »Teilen Sie ihr bitte mit, dass Lord Narraway im Zusammenhang mit Mrs. Montserrats kürzlich eingetretenem Dahinscheiden mit ihr sprechen möchte.« Er sagte das in einem Ton, der klarmachte, dass er das nicht als Bitte, sondern als Anweisung meinte. »Außerdem muss ich Miss Tucker befragen wie auch die Köchin, die Haushälterin, die Mädchen und Sie selbst.«
    Der Mann erbleichte. »Ja … gewiss, Sir. Bitte …« Er schluckte und räusperte sich. »Wenn Sie bitte im Empfangszimmer warten wollen, Mylord.«
    »Vielen Dank, aber ich warte lieber im Wohnzimmer der Haushälterin. Die Atmosphäre dürfte dort weniger förmlich sein.«
    Der Mann erhob keine Einwände. Fünf Minuten später saß Narraway in einem behaglichen Sessel am Kaminfeuer der rundlichen Haushälterin Mrs. Whiteside gegenüber. Sie machte einen verärgerten und widerborstigen Eindruck.
    »Ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen Ihrer Ansicht nach noch sagen könnte«, begann sie und blieb stehen, obwohl er sie zum Sitzen aufforderte.
    »Als diejenige, die für alles hier im Hause zuständig ist, können Sie mir sicherlich etwas über die darin tätigen Personen sagen.«
    »Sie glauben doch wohl nicht, dass einer von denen die arme Mrs. Montserrat umgebracht hat!«, hielt sie ihm vor. »Ich denke nicht daran, mir Ihre ungehörigen Äußerungen über unschuldige Menschen anzuhören, und wenn Sie zehnmal Lord sind.«
    Er lächelte über ihre Empörung und freute sich im Stillen über die Treue, die sie gegenüber den ihr Anvertrauten bewies. Sie kam ihm vor wie eine wütende Henne, die bereit war, auf jeden Eindringling loszugehen. Der Vergleich amüsierte ihn.
    »Nichts würde mich mehr freuen, als zu beweisen, dass Sie recht haben, Mrs. Whiteside«, sagte er freundlich. »Vielleicht können Sie mich dabei mit gewissen Einzelheiten unterstützen. Anschließend werden wir den Kreis erweitern, um andere einzubeziehen, die etwas Wichtiges bemerkt haben könnten, dessen Bedeutung ihnen zu jenem Zeitpunkt möglicherweise nicht bewusst war. Das Einzige, was sich im Augenblick keinesfalls bestreiten lässt, ist, dass jemand Mrs. Montserrat eine übermäßig hohe Dosis Opiumtinktur eingegeben hat. Sofern Sie eine Vorstellung davon haben, wer das getan haben oder was der Grund dafür gewesen sein könnte, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir das mitteilten.«
    Mit dieser Art von Reaktion hatte sie nicht im Entferntesten gerechnet. Mehrere Sekunden lang fand sie keine Worte, um ihm zu antworten.
    Er wies erneut auf den Sessel ihm gegenüber. »Bitte nehmen Sie doch Platz, Mrs. Whiteside. Sagen Sie mir, was Sie über die anderen Hausangestellten wissen, damit ich mir eine Vorstellung davon machen kann, womit sie sich in ihrer freien Zeit beschäftigen, welche Vorlieben und welche Abneigungen sie haben.«
    Obwohl sie völlig verwirrt war, tat sie ihr Bestes, um ihm behilflich zu sein. Nach einer Viertelstunde hörte sie auf, sich gekünstelt auszudrücken, und sprach ganz natürlich. Zum ersten Mal im Leben bekam Narraway eine lebhafte Schilderung einer Gruppe von Menschen, deren Leben gänzlich anders verlief als das seine. Einer wie der andere lebten sie fern dem Elternhaus und der Familie, in der sie aufgewachsen waren, hatten im Laufe der Jahre eine Art neue Familie gebildet, Freundschaften geschlossen, einander mit Eifersüchteleien das Leben schwer gemacht, zugleich aber auch eine Art von Zusammenhalt und Verständnis erlebt, die sie stützte und ihrem Leben einen Rahmen gab, der für sie äußerst wichtig war. Mrs. Whiteside wachte als Matriarchin über diese »Familie«, in der die Köchin nahezu ebenso wichtig war wie sie selbst. Da Mrs. Montserrat auf die Dienste eines Butlers verzichtet hatte, war der Lakai der einzige Mann im Haus und nahm damit eine einzigartig privilegierte Stellung ein. Doch da er noch jung war, hielt er es nicht für unter seiner Würde, sich mit den Hausmädchen über Kleinigkeiten zu

Weitere Kostenlose Bücher