Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
auf den Gedanken gekommen, dass so etwas einer Dame wie ihr zustoßen könnte.« Es fiel ihr schwer, ihren Kummer zu beherrschen, und Tränen traten ihr in die Augen, weil sie das einräumen musste.
»Jemand hat sie umgebracht, Miss Tucker. Ich halte es für ausgesprochen unwahrscheinlich, dass jemand, der sich bereits im Hause befand, die Tat begangen hat.«
Sie zwinkerte und schwieg.
»Wer hat Mrs. Montserrat in den vergangenen drei oder vier Monaten besucht?«
Sie senkte den Blick. »Nicht viele. Die Menschen möchten sich gern behaglich fühlen und unterhaltsame Gespräche führen. Für jemanden, der selbst schon ein bestimmtes Alter erreicht hat, ist es unangenehm, mit ansehen zu müssen, was auch ihm eines Tages widerfahren kann.«
Narraway zuckte innerlich zusammen. Zwar war er bei Weitem nicht so alt, wie Mrs. Montserrat es gewesen war, doch das würde sich bald genug ändern. Würde er das mit Würde tragen? Würde ihn jemand besuchen, außer aus Pflichtgefühl oder vielleicht, um zu sehen, ob er sich einige der zahllosen Geheimnisse entlocken ließ, die er kannte?
Dann ging ihm mit Eiseskälte auf, dass vielleicht auch er Angst vor dem haben würde, was er unter Umständen verraten könnte, und die Möglichkeit bestand, dass man auch ihn ermorden würde, um ihn zum Schweigen zu bringen. Mit einem Mal wurde ihm Mrs. Montserrat äußerst wichtig.
»Miss Tucker, jemand hat sie getötet«, sagte er mit stockender Stimme. »Ich habe die Absicht, den Täter zu ermitteln und dafür zu sorgen, dass er vor Gericht gestellt wird. In diesem Zusammenhang sind Mrs. Montserrats Alter und dass sie alleinstehend war ebenso unerheblich wie die bedeutende Rolle, die sie früher gespielt hat. Ganz gleich, wer man ist – jeder hat ein Anrecht auf Fürsorge, eine würdevolle Behandlung und darauf, sein Leben auf natürliche Weise zu beenden.«
Jetzt liefen der Zofe die Tränen über die im spätwinterlichen Licht nahezu farblos scheinenden Wangen.
»Niemand hier im Hause hätte ihr ein Haar gekrümmt, Mylord«, sagte sie mit einer Stimme, die kaum lauter war als ein Flüstern. »Aber es sind Besucher ins Haus gekommen, manche zu ihr und andere zu Miss Freemarsh.«
Sie schürzte die Lippen, während sie sich konzentrierte. »Lady Burwood war zweimal hier, wenn ich mich richtig erinnere, aber das liegt schon eine Weile zurück.«
»Und wen wollte sie besuchen?«
»Mrs. Montserrat. Aber selbstverständlich hat sie auch Miss Freemarsh sehr höflich behandelt.«
Narraway konnte es sich vorstellen: Wer auch immer diese Lady Burwood sein mochte, hatte sich einer Nerissa gegenüber umgänglich und herablassend verhalten, die nach Anerkennung dürstete und keine bekam, es sei denn aus zweiter Hand durch ihre Verwandtschaft mit Mrs. Montserrat.
»Wer ist Lady Burwood?«, fragte er.
Miss Tucker lächelte. »Eine Dame in mittleren Jahren, die ziemlich unter ihrem Stand geheiratet hat, aber recht glücklich zu sein scheint. Sie hat eine adlige Schwester, die mehr Geld besitzt als sie, aber weniger Kinder hat. Sie fand Mrs. Montserrat stets weit interessanter als die meisten ihrer anderen Bekannten.«
Narraway nickte. »Sie achten sehr aufmerksam auf wichtige Einzelheiten, Miss Tucker«, lobte er sie. Er meinte es ernst. »Und warum hat sie ihre Besuche eingestellt?« Ihm war klar, dass das eine grausame Frage war, aber die Antwort konnte bedeutsam sein.
Ein Ausdruck von Belustigung trat auf Miss Tuckers Züge. »Es ist nicht das, was Sie denken, Mylord. Sie ist gestürzt und hat sich ein Bein gebrochen.«
»Ich nehme alles zurück«, sagte er knapp. »Wer noch?«
Sie nannte die Namen einiger weiterer Damen, von denen zwei gekommen waren, um Miss Freemarsh zu besuchen. Keine von ihnen schien auch nur von ferne in irgendeiner Beziehung zu Österreich oder zu Ränken der Vergangenheit gestanden zu haben.
»Keine Herren?«, fragte er.
Sie sah ihn unverwandt an. Jahrzehnte hindurch hatte sie Geheimnisse für sich behalten, von denen wahrscheinlich nicht wenige mit Liebschaften zu tun hatten. Eine gute Zofe war eine Mischung aus Dienstbote, Künstler und Priester, und Mariah Tucker hatte ihre Aufgabe vorzüglich erfüllt. Wer Zofe bei Serafina Montserrat sein wollte, musste auch das Zeug dazu haben.
»Bitte«, sagte er mit Nachdruck. »Jemand hat Ihre Herrschaft umgebracht, Miss Tucker. Alles, was nichts damit zu tun hat, ist bei mir gut aufgehoben – ich werde es niemandem weitersagen. Auch ich kann Geheimnisse für mich
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