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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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überlegen versuchte, wie sich beweisen ließ, wer der Frau die zusätzliche Dosis Opiumtinktur zusammen mit dem Essen oder ihrer Medizin verabreicht hatte, ihm fiel nichts ein. Auf jeden Fall würde der Täter alle Spuren gründlich beseitigt haben. Bestimmt wurde im Haus jeden Tag geputzt, Staub gewischt und alles benutzte Geschirr abgewaschen und weggeräumt. Das gesamte Personal bewegte sich vermutlich frei in sämtlichen Räumen des Hauses – mit Ausnahme des Schlafzimmers der Hausherrin. Das hätte außer Miss Tucker und Miss Freemarsh höchstens noch das eine oder andere Hausmädchen betreten.
    Oder gab es da noch jemanden, der dafür infrage kam? Wäre so jemand den Leuten im Haus aufgefallen? Hätte der Betreffende einen Anlass gehabt, Mrs. Montserrat zu schaden? Doch höchstens, wenn man ihn dafür bezahlt hätte. Der Gedanke war absurd.
    Um Mitternacht war das Feuer vollständig niedergebrannt. Narraway stand auf, löschte das Licht und ging nach oben, um sich schlafen zu legen. Er sah nur eine einzige Möglichkeit, die verzwickte Frage zu lösen: Er musste dem persönlichen Motiv nachgehen, um zu sehen, ob er es ausschließen konnte. Bis zum Eintreffen des Herzogs Alois in Dover waren es nur noch gut zehn Tage.
    Am nächsten Morgen beschloss er, Vespasias Meinung einzuholen. Er kleidete sich mit besonderer Sorgfalt an, wie es sich für den Besuch bei einer Dame gehörte, der er nicht nur zugeneigt war, sondern die er überdies achtete.
    »Victor! Wie schön, dich zu sehen«, sagte sie überrascht, als ihr Lakai ihn kurz nach zehn ins Empfangszimmer führte. Sie trug ein hochelegantes Kleid in einem blassen Blaugrünton mit weißem Spitzeneinsatz, weiten Ärmeln und dazu wie gewohnt ihre Perlen. Sie lächelte. Selbstverständlich war ihr klar, dass er nicht grundlos kam, und er unternahm gar nicht erst den törichten Versuch, zu tun, als verhalte es sich anders.
    »Nun?«, begann sie, nachdem sie das Mädchen gebeten hatte, Tee zu bringen.
    Sie hörte ihm schweigend zu, während er ihr knapp seine Überlegungen vom Vorabend mitteilte, wobei sie lediglich von Zeit zu Zeit leicht zustimmend nickte.
    »Eins scheinst du mir nicht bedacht zu haben«, bemerkte sie. »Zum einen ist die Großnichte alles andere als eine ausgesprochene Schönheit, und zum anderen dürfte sie angesichts ihrer bisherigen Stellung als Gesellschafterin ihrer Groß tante wohl kaum über beträchtliche Geldmittel verfügen.«
    »Das ist mir bewusst. Ziemlich sicher dürfte sie beschlossen haben, dafür zu sorgen, dass ihre Großtante nicht alles ausgab, was sie von ihr zu erben hoffte.«
    Vespasia lächelte. »Mein lieber Victor, es gibt Dinge, die uns Frauen wichtiger sind als Geld.« Belustigt nahm sie seinen verwunderten Gesichtsausdruck zur Kenntnis. »Die junge Frau sieht nicht unbedingt schlecht aus, hat aber ein wenig gewinnendes Wesen. Sie versteht es nicht, einem Mann zu schmeicheln, ihn zu umgarnen oder dafür zu sorgen, dass er sich in ihrer Gesellschaft wohlfühlt.«
    »Ist mir bereits aufgefallen«, sagte er knapp.
    »Das denke ich mir. Aber vermutlich hast du diese Beobachtung nicht in deine Erwägungen einbezogen. Sie ist in einem Alter, in dem ihr nicht mehr viele Jahre bleiben, um eine Familie zu gründen. Mittlerweile stehen ihre Aussichten gut, weil sie mit einem beträchtlichen Erbe rechnen darf. Hätte Serafina aber noch weitere fünf Jahre gelebt, was ohne Weiteres möglich gewesen wäre, hätte die Sache anders ausgesehen. Möglicherweise war ihr Liebhaber nicht bereit, so lange zu warten.«
    Narraway erstarrte. »Was für ein Liebhaber?«
    Vespasia hob ihre silbrigen Brauen. »Hast du nichts davon gemerkt? Nein, vielleicht nicht.«
    Gekränkt sagte er: »Bin ich wirklich so ein schlechter Beobachter?«
    Freundlich lächelnd gab sie zurück: »Nein, mein Lieber, keineswegs, aber du bist ein Mann. Euch Männern fällt so manches nicht auf, und das ist wahrscheinlich auch ganz gut so. Es könnte für eine Frau ziemlich zermürbend sein, immer durchschaut zu werden.«
    Einen Augenblick lang wusste er nicht, was er sagen sollte. Außer ihr brachte das bei ihm niemand fertig.
    »Bist du sicher, dass sie einen Liebhaber hat?«, fragte er schließlich.
    »Ja. Aber ich ahne nicht, ob es sich dabei um eine Beziehung von der Art handelt, bei der man realistischerweise annehmen darf, dass sie in eine Ehe mündet. Falls nicht, wäre ein ungestörtes Privatleben alles, was sie wünschen konnte und nicht bereits

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